: Handlungsreisender in Sachen Integration
Riza Baran (Grüne) wird heute zum Vorsitzenden der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg gewählt. Der 59-jährige gebürtige Kurde war stets vorne mit dabei. 1971 gründete er den ersten Ausländerbeirat. Als erster Migrant gewann er ein Direktmandat fürs Abgeordnetenhaus
von WALTRAUD SCHWAB
„Es gibt immer Alternativen zum Krieg“, meint Riza Baran. Die gegenwärtige politische Entwicklung macht aus einem, der dies sagt, einen altmodische Demokraten. Folgt man dem Tenor der Leitartikler, ist so einer sogar ein Träumer. Kriegsgegner bei Bündnis 90/Die Grünen wie Baran verkörpern zudem die Entfremdung zwischen der Basis und den Oberen ihrer Partei. Trotzdem oder gerade deswegen wird er heute wohl zum Bezirksverordnetenvorsteher in Friedrichshain-Kreuzberg gewählt. Ein Gegenkandidat ist nicht aufgestellt.
BVV-Vorsteher sind wie „Parlamentspräsidenten im Kleinen“. Immerhin wird Riza Baran der politischen Vertretung eines Bezirkes mit ungefähr 250.000 Einwohnern vorstehen. Mit ihm nähme zum ersten Mal ein Migrant dieses repräsentative Amt ein. Parteiübergreifend wollen Abgeordnete dem 59-jährigen ihre Stimmen geben. Denn in der Berliner Lokalpolitik ist der kurdischstämmige Berufsschullehrer keine unbekannte Größe.
Seit Jahrzehnten und in immer neuen Variationen hat Baran versucht, die komplizierten Prozesse der Ausgrenzung zu erklären, in die die Migranten und Migrantinnen in Deutschland geraten. Wie ein Handlungsreisender hat er seine Wahrheiten in Parteien, Gewerkschaften und Verbänden angepriesen: Dass Integration nicht Herr und Knecht kenne; dass Ausgrenzung nur radikalisiere; dass Rassismus Rückschritt ist und Fundamentalismus kein Muss, sondern Ismus. Wortspiele, Leitsätze, letztere mit hoher Brisanz, in denen sich Barans selbstgestellte Aufgabe verdichtet: Vermitteln, aufklären, niemals aufgeben. Auch nach Niederlagen nicht. Seine Credos sind einfach: „Ich will nicht mehr der Ausländer sein.“ Und: „Man muss sich da einbringen, wo man lebt.“ Zwei Sätze, zwischen denen Welten liegen und das halbe Leben des Mannes.
Baran sucht das Gespräch. Schon immer, aber nicht immer wird es verstanden. Als Schüler setzte er sich dafür ein, dass die Kinder der Hirten, die für seinen Vater – einen kurdischen Viehzüchter in Anatolien – arbeiteten, zur Schule gehen durften. Der Unterricht dort fand auf Türkisch statt, einer Sprache, die Baran selbst erst lernen musste. Aber er begriff schnell, war später Primus, allerdings einer, dem die autoritäre Disziplin nicht bekam. Er machte sich stark für Schülervertretungen, forderte die bessere Förderung kurdischer Kinder und nahm früh Kontakt mit regimekritischen Intellektuellen auf. Vierzig Jahre ist das her, die Türkei taumelte ins Chaos des Militärputsches von 1960.
Mit 21 Jahren verließ Baran seine Heimat, ging nach Deutschland, wurde Ingenieur, Pädagoge, Bürgerrechtler. 1971 beteiligte er sich an der Gründung des ersten Ausländerbeirats in der Bundesrepublik. „Komkar“, einer der etablierten kurdischen Interessenvertretungen, und der „Verband mit Ausländern verheirateter Frauen“ sind nur zwei der Vereine, die er ins Leben rief. Viele Modellversuche zur interkulturellen Erziehung verbinden sich ebenfalls mit seinem Namen. Und schon einmal hat Baran auf der politischen Bühne einen symbolischen Sieg errungen. 1995 gewann er als erster Migrant in der Bundesrepublik ein Direktmandat bei den Berliner Wahlen. Für die Bündnisgrünen zog er für vier Jahre ins Abgeordnetenhaus ein.
Er rechnet es sich als persönlichen Erfolg an, dass es ihm in seiner Zeit als Abgeordneter gelungen ist, die positiv beschiedenen Petitionen von Ausländern und Ausländerinnen – meist ging es um Ausweisung, Familiennachzug, Berufsverbote – erheblich zu erhöhen. Obwohl juristisch das letzte Wort gesprochen war, gelang es Baran im Petitionsausschuss, Betroffene beispielsweise vor Abschiebung zu bewahren. Ohne Überzeugungs- und Lobbyarbeit auch bei konservativen Ausschussvertretern wäre dies niemals möglich gewesen.
In seinem neuen politischen Amt will er sich der Bevölkerung von Friedrichshain und Kreuzberg zuwenden. Das Zusammenwachsen von Ost und West soll nicht auf einen Oberbaumbrückenbindestrich beschränkt sein. Außerdem wird in diesem Bezirk, in dem ein Fünftel der Menschen nichtdeutscher Herkunft sind, der Modellfall „Integration“ geprobt. An Baran soll sie nicht scheitern. „Nicht reden, handeln ist gefragt“, fordert er. Keine leichte Aufgabe, unter dem finanziellem Druck im Problembezirk Nummer Eins der Stadt gestaltende Politik zu machen. Baran hat jedoch schon Ideen, noch aber ersetzen Metaphern die Tat. Statt „einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig“, sagt er bei der Stimmprobe: „Man baut keine Brunnen, um hinterher eine Dürre zu haben“ ins offene Mikrofon.
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