: Hat der Ethikrat versagt?
NEIN
Nein, denn der Ethikrat weist einen pragmatischen Weg aus dem Dilemma. Durch die strengen Auflagen für den Import von Stammzellen, die er empfiehlt, macht er einen tragfähigen Kompromiss möglich.
Was wurde dem Ethikrat vorab alles unterstellt. Er sei nur die Vorhut des Kanzlers, die den Weg freiräumt für die beliebige Verfügbarkeit des Menschen. Viele Kritiker hörten schon das Designerbaby schreien.
Doch das Votum des Ethikrats fiel erstaunlich zurückhaltend aus. Die Frage nach dem Import von embryonalen Stammzellen beantworteten zwar 14 von 23 Mitgliedern des Rats positiv. Die Auflagen aber sind drastisch und zielen darauf, möglichst wenige Embryonen zu opfern. So verlangt der Rat, nur solche Embryonen für die Herstellung von Stammzellen zu verwenden, die aus der künstlichen Befruchtung übrig geblieben sind. Die Eltern müssen zustimmen und dürfen kein Geld erhalten.
Schließlich will der Rat bei jedem Forschungsantrag vorab sorgfältig geprüft wissen, ob die Experimente überhaupt Aussicht auf Erfolg haben. In alledem ist das Bemühen zu spüren, einerseits eine für den medizinschen Fortschritt wichtige Forschung zu ermöglichen – und gleichzeitig nicht unnötig Leben zu opfern.
Eine weise Entscheidung. Denn die Vorbehalte sind groß. Und der Hinweis der Kritiker ist richtig: Bislang ist nicht bewiesen ist, dass die embryonalen Stammzellen wirklich die beste Quelle sind, um Patienten mit lebensrettenden Reparaturzellen zu versorgen. Deshalb verlangt der Ethikrat eine Überprüfung der gefundenen Regel nach drei Jahren.
Solange nur solche Embryonen geopfert werden, die bei der künstlichen Befruchtung übrig blieben, kommt kein Embryo zu Schaden, der nicht ohnehin totgeweiht ist. Denn dabei bleiben nun einmal Embryonen übrig. Die künstliche Befruchtung deshalb zu verbieten wäre zynisch. Durch sie entsteht ja gerade mehr Leben, nicht weniger. Und diese Embryonen in den Müll zu werfen, wie es bisher geschieht – das ist wohl kaum edler, als sie für die Medizin zu verwenden.
Nun kann man dem Ethikrat Inkonsequenz unterstellen. Denn er ist offenbar nicht bereit, die Herstellung von Stammzelllinien auch in Deutschland zuzulassen. Warum eigentlich nicht?
Merkwürdig erscheint zunächst auch, warum deutsche Forscher nur auf Stammzelllinien zurückgreifen dürfen, die bereits kultiviert wurden. Dahinter steckt der Gedanke, dass deutsche Forscher nicht die Vernichtung weiterer Embryonen anregen sollen.
Das ist im Kern aber ein naiver Gedanke. Wenn ich in ein Restaurant gehe und ein Hühnchen bestelle, dann wird der Koch nicht extra zum Bauernhof fahren und eines schlachten. Natürlich hat er das vorher erledigen lassen – in der berechtigten Erwartung, jemand würde das Huhn schon bestellen.
Und doch ist diese Entscheidung des Rates nachvollziehbar. Es geht um Selbstbeschränkung. Es ist nämlich nicht so, dass für jede Stammzellenlieferung neue Embryos verbraucht werden müssten. Es genügt, aus ein paar Embryonen eine Stammzelllinie zu kultivieren. Man kann davon Stammzellen einfrieren und aus ihnen im Prinzip immer neue Zellen gewinnen.
Und doch ist es ein politischer Fehler. Auf diese Weise werden diejenigen belohnt, die ohne große Bedenken mit ihrer Entscheidung vorgeprescht sind, Stammzellen zu züchten.
Folgt man dem Ethikrat, wird es in drei Jahren möglich sein, das Heilungspotenzial von Stammzellen etwas besser zu beurteilen. Man wird dann vielleicht wissen, ob sie wirklich so segensreich sind, dass man es gar in Erwägung zieht, sie individuell für einen Patienten herzustellen. Oder ob man mit weniger bedenklichen Methoden weiter kommt.
Die embryonale Stammzelle ist die Mutter aller Zellen. Vielleicht eröffnet ihre Erforschung auch ganz neue, überraschende Wege in der Medizin – so ginge es nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Wissenschaft. Das kann man aber nicht herausfinden, wenn man heute bloß den Worst Case beschreit.
Die Empfehlung des Rates ist ein kontrollierter wie rückholbarer Einstieg. Und eine Vorbereitung auf die nächste Entscheidung. Bei einem ethischen Urteil geht es nämlich darum, das Für und Wider an der Lebenspraxis abzuwägen. Und nicht darum, möglichst feste Prinzipien zu haben, in deren Besitz sich unter anderem die Kirchen wähnen.
Sollte es eines Tages möglich sein, viele heute Todkranke zu heilen – dann wird sich kaum noch jemand finden, der dagegen auf das Recht eines mikroskopischen Zellhaufens pochen würde. Weil es offensichtlich unethisch wäre.MATTHIAS URBACH
Fotohinweis: MATTHIAS URBACH (34), Parlamentskorrespondent der taz, widmet sich als gelernter Physiker auch wissenschaftlichen Themen. Seit neun Monaten ist er glücklicher Vater eines Sohnes.FOTO:CHRISTIANE VON ENZBERG/G.A.F.F.
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