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Ein Lkw voller Matratzen

Aus einer spontanen Hilfsaktion in der Berliner Heiligen-Kreuz-Kirche wurde die bundesweite Arbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“. Morgen bekommt sie die Carl-von-Ossietzky-Medaille

von SUSANNE AMANN

Der kleine Mann im grünen Anorak lässt sich nicht stören: Versunken übt er an der großen Orgel, während um ihn herum Techniker Kabel verlegen, Tische aufstellen, Lampen anbringen: Die Kirche zum Heiligen Kreuz wird für eine private Weihnachtsfeier geschmückt, nicht aber für das Ereignis, das die Gemeinde viel mehr betrifft: Morgen wird der ökomenischen Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ die Carl-von-Ossietzky-Medaille für ihren Einsatz für Menschenrechte verliehen.

Was heute ein bundesweites Netzwerk unterschiedlichster Kirchengemeinden ist, hat in der Zossener Straße in Kreuzberg seinen Ursprung. Pfarrer Jürgen Quand lacht heute noch leise in sich hinein, wenn er an das erste, völlig ungeplante Kirchenasyl im Sommer 1983 denkt: Der kircheninternen Diskussion über die Hilfe für abschiebegefährdetete Flüchtlinge aus dem Libanon machten Bürger aus dem linksalternativen Hausbesetzermilieu kurzerhand ein Ende: Mit einem Lkw voller Matratzen und der ersten Flüchtlingsfamilie standen sie eines Abends vor dem Gemeindehaus der Kirche. „Da blieb uns ja gar nichts mehr anderes übrig, als sie aufzunehmen“, so Quandts Erinnerung. Mitten in die politische Debatte über die Situation von Flüchtlingen in Deutschland platzte so das erste deutsche Kirchenasyl.

Die Matratzen in der Kirche sorgten für Furore: Anwohner brachten körbeweise Lebensmittel, die Ausländerbeauftragte der Stadt und Abgeordnete gaben sich die Klinke in die Hand. Solange, bis für die mittlerweile drei palästinensischen Familien eine so genannte Altfallregelung gefunden wurde.

Was als Einzelfall zufällig und ohne Planung zum Erfolg führte, war der Auslöser für eine wohlorganisierte und langfristige Bewegung: Auch in anderen Berliner Kirchengemeinden folgten Kirchenasyle, ein umfassender Beratungs- und Unterstützungskreis wurde aufgebaut. Rechtsanwälte, kirchliche Mitarbeiter und Privatpersonen helfen bis heute mit Anträgen, Verwaltungsgängen oder Einsprüchen.

Elisabeth Reesen ist eine davon. Die Rechtsanwältin sitzt mit Katharina, der serbo-kroatischen Übersetzerin, in dem kleinen Büro der Kirchenberatungsstelle. Zu ihr kommen täglich etwa 20 Menschen, denen sie durch den deutschen Behördendschungel hilft. Waren es in den 80er-Jahren viele Kurden, die sie beraten hat, sind es inzwischen hauptsächlich Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien und arabischen Staaten.

In den vergangenen Jahren ist die Arbeit mühsamer geworden. Viele haben sich an die Zustände gewöhnt, die früher noch als skandalös empfunden wurden. „Die Öffentlichkeit interessiert sich nur in Ausnahmefällen für die Situation von Flüchtlingen, die Asyldebatte wird als Belastung empfunden“, beschreibt Quandt seine Wahrnehmung. Zwar ist nach dem Asylkompromiss von 1993 die bundesweite Vernetzung entstanden und hat zu neuem Kirchenasyl geführt. „Aber damit“, bedauert Quandt, „ist das Thema für viele leider auch erledigt.“

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