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Spaziergang unter dem Regenbogen

Eine Frau gegen drei Klaviere: Tori Amos schwebte als gute Fee ins ICC, um die Dämonen aus dem gigantischen Aluminiumkoffer am Messegelände zu vertreiben, und traktierte ihre Instrumente mit gezielten Schlägen

„Das Baby ist ein bisschen krank“, klärt Tori Amos über die Gründe auf, warum ihr Konzert erst mit einiger Verspätung beginnen konnte. „Die Mutter auch. Aber: Fuck it.“ So stemmt sie sich wieder hinter ihren Flügel und bearbeitet ihn wie einen widerspenstigen Flipperautomaten. Das Piano als Percussion-Instrument: Mal im Stehen, mal im Sitzen und gerne auch breitbeinig an zwei Klavieren gleichzeitig hämmert, klopft und trommelt sie auf die Tasten und schlägt auch mal gegen das Holz des Instruments, als wollte sie Geister vertreiben, die sich im Inneren des Gehäuses eingenistet haben – so, wie es Schamanen mit ihren Trommeln zu halten pflegen.

Allein gegen drei Klaviere, so präsentierte sich Tori Amos auf ihrer aktuellen Tournee dem Publikum. Das war eine Rückkehr zur ursprünglichen One-Woman-Show, nachdem sie in den letzten Jahren meist mit Band im Rücken zu sehen gewesen war, und auch eine Rückkehr zum Songmaterial ihrer ersten Alben „Little Earthquakes“ und „Under the Pink“, mit denen sie sich als Jeanne d’Arc des Pop Anfang der Neunziger eine ergebene Gefolgschaft erstritten hatte. Damals trat Tori Amos noch in kleinen Clubs oder – passend für eine blasphemische Pfarrerstochter – in Kirchen auf. Heute reicht gerade noch das ICC aus, um dem Andrang zur Audienz mit der Sängerin gerecht zu werden.

Die ging zwar erst eineinhalb Stunden nach dem offiziellen Beginn los, geriet aber doch so intim, wie das in dem unpersönlichen Aluminiumkoffer am Messegelände möglich ist. Zuvor hatte es im Vorprogramm psychedelischen Elektro-Folk zu hören gegeben von einem verlorenen Songwriter, der im Maria am Ostbahnhof sicher besser aufgehoben gewesen wäre. Während er spielte, sorgte das gedämpfte Licht der Deckenlampen für die unwirkliche Atmosphäre eines transatlantischen Übernachtflugs in dem riesigen Konferenzsaal, der gebaut scheint für Vertreterkongresse, Trekkie-Treffen oder Automobilmessen, aber sicher nicht für Popkonzerte. Dafür hatten Zuspätkommer viel Zeit, im Labyrinth der Aufgänge A, B und C herumzuirren, um von Saalordnern geleitet auf den richtigen Weg zu finden.

Ihr aktuelles Album „Strange Little Girls“, auf dem sie bekannte Songs männlicher Kollegen gecovert hat, dient Tori Amos als Anlass ihrer Tournee. Doch gerade mal zwei Stücke, Joe Jacksons „Real Men“ und „I don’t like Mondays“, spielt sie tatsächlich davon, stattdessen greift sie tief in die Einnerungskiste ihrer frühen (und besseren) Songs wie „Crucify“ oder „Silent all these years“, die ihren Ruf als Schmerzensfrau des Pop begründeten. Schwere Themen, leichte Muße: Niemand hat weibliche Selbstentblößung so weit in den Mainstream getrieben und ihren Seelenstriptease mit jenem kokettem Pathos zelebriert, mit dem sonst männliche Kollegen – von Leonard Cohen bis Morrissey – ihre inneren Verwundungen ausstellen und mit religiösen Themen ringen.

Nach einer Fehlgeburt, die sie selbstverständlich auch in ihren Songtexten zu verarbeiten versuchte, ist die 36-Jährige nun kürzlich Mutter geworden und bemüht sich nach Kräften um das ungewohnte Problem, Kind und Karriere in Einklang zu bringen. Erleuchtet vom assoziativen Lichtspiel, das den Saal in rote und blaue Farben tauchte und die Bühne, mit dunklen Schatten oder bunten Spiralnebeln, wie eine Fantasy-Landschaft erscheinen ließ, schwebte Tori Amos wie die gute Fee aus dem Märchen entlang, die den Dämonen Paroli bietet, wie Alice im Wunderland oder eine Figur aus einem freundlichen Walt-Disney-Film. Viel sprach sie nicht zum Publikum während ihres Konzerts, dafür gab es ausgiebig jenen keuchendem Schluckauf-Gesang zu hören, der längst ihr Markenzeichen geworden ist. Und während mancher im Saal gegen Ende schon leicht entschlummert war, schickte Tori Amos mit Judy Garlands „Somewhere over the rainbow“ als Zugabe noch das passende Wiegenlied hinterher.

DANIEL BAX

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