: Die Eurovermarkter
Eine Frankfurter Werbeagentur versucht, 300 Millionen Menschen in zwölf Nationen zu einer Euro-Reklame-Union zu vereinen
aus Frankfurt/Main HEIDE PLATEN
Ein postmoderner, roter, runder Sandsteinbau am Mainufer in Frankfurt-Sachsenhausen. Das Interieur der Eingangshalle ist karg minimalistisch gehalten, eine weiße Wendeltreppe schraubt sich vor weißer Wand in engen Spiralen nach oben. Im vierten Stock ist Euroland. Da ist Schluss mit dem gestylten Ambiente, da wird mit Hochdruck gearbeitet, dass die Papiere flattern und die Designerästhetik auf der Strecke bleibt.
Hier haben 27 Mitarbeiter der Werbeagentur „publicis“ die Aufgabe, die Menschen auf die europäische Währungsunion einzustimmen. Der Endspurt hat begonnen, denn schon in diesen Tagen werden in den Euroländern die Starter Kits mit einer Münzmischung ausgegeben (siehe Kasten). Die Währungsunion, das sind zwölf Nationen, elf Sprachen und 300 Millionen Menschen, die ab 1. Januar 2002 dasselbe Bargeld benutzen. Barbara Lutz und ihr Team sollen das neue Geld für sie alle akzeptabel machen – für die besonders misstrauischen, nein, natürlich nur „sehr, sehr zurückhaltenden“ Finnen ebenso wie für die „sehr, sehr pragmatischen Italiener und Spanier“ und die „absolut enthusiastischen“ Iren. Die 35-jährige Werbefrau leitet die Kampagne „der EURO. UNSER Geld“ im Auftrag der Europäischen Zentralbank (EZB). Sie schüttelt die rotbraune Lockenmähne, rollt das Zungenspitzen-Rrrr in fränkischer Mundart und verströmt Begeisterung für die „Korrrrelation“ zwischen der entweder zu negativen oder zu positiven Haltung der künftig von der Währungsumstellung betroffenen Konsumenten.
Daran arbeiten für „publicis“ europaweit 70 bis 100 Leute, das internationale Kernteam aber sitzt am Main in Blickweite zur EZB-Zentrale des Auftraggebers in der Innenstadt. Die Eurobanderole, die deren Hochhaus wie eine Bauchbinde umschlingt, war auch eine der Werbe-Ideen von „publicis“.
Die Sprachbarrieren
Bei der Arbeit müssen die Frankfurter Eurovermarkter Barrieren abbauen. Eine davon ist die Sprachvielfalt ihrer Zielgruppe. In der Agentur ist die Verkehrssprache Englisch. Englisch ist aber auch in Europa nicht immer gleich Englisch, wie Barbara Lutz gelernt hat. Und wie man an dem schottischen ihrem Kollegen merken kann. „Well, I try“, tiefstapelt er in schottischer Manier, als sie ihm einen Auftrag erteilt. „Er versucht es?“ sinniert Lutz leicht genervt und probiert es erneut: „Wirklich ernstlich wichtig, really important“, sei der Auftrag! „I try“, sagt der Schotte.
Barbara Lutz hat inzwischen verstanden. Englisch ist nicht immer „die gleiche Message“: 27 Menschen aus 13 Ländern: „Das geht nicht eins zu eins. Wir müssen lernen, einander ganz genau zuzuhören.“ Und nachzufragen, denn nicht jeder meint das, was der andere sich da so zusammenübersetzt. Der Mann aus Schottland wird, das weiß sie jetzt, ganz bestimmt sein Allerbestes geben, „he tries to give his very best“.
Auch Formeln, Banalitäten sind länderspezifisch, das musste im täglichen Umgang miteinander erst erfahren werden: „Die Schotten denken schottisch, Franzosen französisch, die Italiener italienisch.“ Zu entdecken, was wirklich gemeint ist, sagt Lutz, „das ist für uns alle eine Bereicherung, ein einmaliges Erlebnis“. Aber auch eine Strapaze. Die Internetauftritte in elf Sprachen summierten sich zu 4.000 Seiten. „Das war die Hölle“, sagt Barbara Lutz ganz leise.
Das Werbeteam ist international. Randy aus Seattle, der deutsche Zeichner Thomas, Lucy aus Kanada, die Ungarin Piroschka, Manon aus den Niederlanden, Website-Operator Eric: Die Vornamenmenschen müssen alle friedlich miteinander zurechtkommen. Und, Chefin Lutz schnippt mit den Fingern, „alles muss bei uns extrem schnell gehen“. Kein Palaver, keine Sitzungszimmer, kurze Stehkonferenzen vor den Regalen im Flur.
Eigentlich ist das mit dem Euro ja keine Werbekampagne im klassischen Sinn und ein eher ungewöhnlicher Auftrag für die Agentur, die sonst Produkte wie Tomatensuppen anpreist. Denn die Verbraucher bekommen das Geld sowieso, ob sie wollen oder nicht: „Das ist etwas, was ein Werber sonst eigentlich nicht wirklich macht.“
Die Kampagne startete erst 2001. Das, sagt Barbara Lutz, sollte so sein. Zu früh geworben, weiß sie, das wird vom Verbraucher schnell wieder vergessen. Eigentlich seien die Leute auch gar nicht so schlecht informiert: „Aber Informationen haben und sie auch lesen und aufnehmen, das ist zweierlei.“ Die Aufnahmebereitschaft wachse mit dem Näherrücken der sinnlichen Wahrnehmbarkeit der Währungsunion, der Ausgabe der sieben Scheine und acht Münzen, enorm an: „Die Leute merken jetzt, das ist mein Geld, ich muss mich mit dem Thema beschäftigen.“
Erreicht werden sollen nicht nur die gebildeten Durchschnittsbürger, sondern vor allem die Menschen, die sich schwer mit dem Euro tun: ältere Leute, Hausfrauen, Menschen in einsamen Gegenden, die sonst nur wenige Informationsquellen nutzen. Die Kampagne konzentriere sich, sagt Lutz, auf jene, die bisher „relativ schlecht vorbereitet sind“. Partner sind inzwischen auch rund 2.600 Arbeitgeber und Organisationen, deren Mitarbeiter viel mit Geld zu tun haben: Industrie, Banken, Versandhäuser, Autovermietungen, Hotels. Sie bekommen Schulungspakete und Werbematerial, das sie für eigene Informationskampagnen verwerten dürfen. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Fünf Ordner mit Belegen dafür stehen schon jetzt in den Regalen: Prospekte, Faltblätter, Mitarbeiterzeitungen. Dazu kommen die „unmöglichsten Gimmicks“, Spardosen, Schokolade, Krawatten mit Euroaufdruck. Dass allenthalben fast inflationär Euroveranstaltungen angesagt sind, stört Lutz nicht: „Wir haben nichts gegen diese Duplizität. Hauptsache, die Veranstalter haben die richtigen Informationen!“
Komplexer war es, die Kampagne mit der Europäischen Kommission in Brüssel, mit den Regierungen der EU-Länder, den nationalen Zentralbanken abzustimmen.
Die Akzeptanz des Euro erhöhen sollen auch die Fernsehwerbung und Anzeigen, die seit Anfang September in Deutschland auf allen Kanälen und in allen Zeitungen zu sehen sind. Die Bilder sind europaweit die gleichen. Der Text unterscheidet sich nur durch die Übersetzung in die jeweilige Landessprache. Die Spots sollen die Vielfalt der Kulturen, Träume und Erwartungen der Europäer zusammenfassen. Aus Vielfalt wird ein einziges Euroreklameland. Der Euro trudelt über ästhetisierten Kunstszenen. Alles ist auf allen Kanälen in allen zwölf Ländern nur angedeutet. Euroland könnte überall oder nirgendwo sein. Was da zu sehen ist, könnte ein Theater im postmodernen Brüssel sein. Oder Karneval in Venedig.
Pastellfarbene Clips
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Die Clips sind so pastellfarben wie die neuen Euroscheine, den Ländern nicht zuordenbar, durchscheinend wie die Wasserzeichen. Die Druckvorlagen für die Zeitungen zeigen Bezahlszenen an jenen öffentlichen Orten, die sich international ähneln: Strand, Fußballstadion, ein Flughafen, Freizeitszenen im Kaffeehaus, in der Eisdiele, beim Shopping, im Supermarkt. Der Begleittext der Spots verortet nur grob: ein Dorf „irgendwo in Südeuropa“, eine Klippe „irgendwo am Meer in Nordeuropa“. Jeder soll sich mit der Eurowelt identifizieren können. „Unsere Aufgabe ist es nicht“, sagt Barbara Lutz, „zu erreichen, dass die Menschen den Euro lieben.“ Vielmehr sollen sie „Bescheid wissen und die faktische Angst verlieren, die einfach bei vielen erst einmal da ist“: „Wie geht das? Werde ich betrogen?“ Kurz: „Unsere Aufgabe ist es, ihnen Sicherheit zu geben.“
„Europäisch denken“, das könnten, meint Barbara Lutz, bisher „nur sehr wenige Agenturen“. Sie hat das bereits vor dem Euroauftrag bei einer Kampagne für die Kosmetikindustrie ausprobiert. Die 35-Jährige ist in Fürth aufgewachsen, lernte nach dem Abitur zuerst einmal Damenschneiderin, machte den Gesellenbrief, schloss ein Betriebswirtschaftsstudium an und ging in die Werbung. Publicis, die drittgrößte deutsche Agenturgruppe, holte sie ins Team, als die Firma den Zuschlag für den EZB-Auftrag erhielt.
Den Euro bewerben, das heißt auch, unter ungewohnten Sicherheitsvorkehrungen arbeiten. Die ersten Euromuster, ganze sieben Banknoten, wurden rund um die Uhr von Sicherheitspersonal bewacht. Die Werber mussten deshalb für ihre Druckvorlagen und Filme einen Türcode benutzen und sich hinter fest verschlossenen Türen verschanzen.
Barbara Lutz geht durch den Flur, lobt und ermuntert ihr Team. Dass sie bald ihr erstes Kind erwartet, darüber redet sie öffentlich nicht gerne, aber: „Na ja, ist ja nun mal nicht mehr zu übersehen.“
Das Kind wird im Februar geboren werden, noch vor Abschluss der Kampagne. Die wird noch bis Mitte 2002 dauern. Dann sollen auch außereuropäische Adressaten angesprochen werden. Es sollen Anzeigen in internationalen Magazinen und Zeitungen geschaltet, auf Flughäfen geworben werden, um die Besucher und Durchreisenden aus anderen Kontinenten zu informieren. Das heißt: Internet-Auftritte, Plakate, Faltblätter in weiteren 23 Sprachen.
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