: E-Mail für den Bürgermeister
Vier KultursenatorInnen in zwei Jahren: Ein erneuter Wechsel wäre schon an sich ein fatales Signal für die Stadt. Kulturschaffende drängen Klaus Wowereit, Adrienne Goehler im Amt zu belassen
von RALPH BOLLMANN und BRIGITTE WERNEBURG
Will er nicht mehr? Oder darf er nicht? Dass Gregor Gysi künftig das Kulturressort besetzt, galt beinahe schon als ausgemacht. Doch je länger die Koalitionsverhandlungen andauern, desto deutlicher liebäugelt der PDS-Politiker mit dem Wirtschaftsressort – das ließ er nach der Runde vom Wochenende wieder durchblicken. Reizt ihn die Perspektive, als Exkommunist den Kapitalismus zu verwalten? Oder fürchtet SPD-Rathauschef Klaus Wowereit, Gysi könnte ihm die Schau stehlen, wenn er die repräsentative Hochkultur besetzt?
Wie auch immer: Wird Gysi nicht Kultursenator, dann ist der Posten wieder zu vergeben. An die Bundestagsabgeordnete Monika Griefahn? An den Senatskanzleichef André Schmitz? Beides ist unwahrscheinlich, denn die möglichen SPD-Plätze sind bereits ausgebucht. Mit Strieder und Böger, Körting und Krajewski gelten vier Sozialdemokraten als gesetzt. Eine fünfte Person müsste aus dem Osten kommen – wenn die Partei so viele Plätze überhaupt bekommt. Der Regierende und fünf Senatoren für die SPD, drei Senatoren für die PDS: Da dürften die Linkssozialisten kaum mitspielen. Vier zu vier – das werden allerdings die Sozialdemokraten nicht mitmachen.
Da bleibt nur eine Lösung: Eine parteilose Kandidatin muss her. Eine Person, die diese Anforderung erfüllt, ist die Amtsinhaberin selbst. Adrienne Goehler selbst sagt auf die Frage, was sie sagen muss: „Ich habe keinen Grund, derzeit darüber nachzudenken.“ Und sie meint, eine große Chance sei einfach nicht wahrgenommen worden: „Rot-Grün-Rot wäre doch ein spannendes kulturelles Projekt gewesen.“ Im Sommer hatte Goehler noch erklärt, sie könne sich das Regieren in einem rot-roten Senat „nicht vorstellen“. Damals stand die Wahl noch bevor, und die Senatorin hatte ihr Amt gerade erst angetreten. Inzwischen sind die Grünen aus dem Spiel, und gleichzeitig wird die von ihnen gestellte Ressortchefin überall gepriesen. Wo auch immer man sich an den Bühnen oder Universitäten, aber auch bei den Kulturpolitikern umhört, man bekommt überall die gleiche Auskunft: Endlich hat Berlin wieder eine Kultur- und Wissenschaftssenatorin, die den Namen verdient – und es wäre ein Jammer, wenn sie dem politischen Farbwechsel zum Opfer fiele.
Gemeinsam mit ihrer fachkundigen Team aus Staatssekretärin Alice Ströver und dem Koordinator für Wissenschaft in der Senatsverwaltung, Bernd Köppl, hat die Senatorin in kurzer Zeit all jene Entscheidungen gefällt, die ihr Vorgänger Christoph Stölzl verschleppt hatte. Dazu zählten die Vertragsabschlüsse mit den Dirigenten Simon Rattle und Daniel Barenboim oder mit dem Opernregisseur Peter Mussbach. Und dem erfolglosen Theater des Westens, das zuletzt nur noch dahindümpelte, drehte sie den Geldhahn zu.
Nach Peter Radunski, Christa Thoben und Christoph Stölzl ist Goehler die vierte Kultursenatorin in zwei Jahren. Jetzt haben Wissenschaft und Kultur gerade wieder Tritt gefasst – und da soll plötzlich Senator Nummer fünf antreten? Ein möglicher Goehler-Nachfolger könnte so fähig sein, wie er wollte – der erneute Wechsel wäre schon für sich genommen ein fatales Signal.
Goehler soll bleiben: Das ist ein Wunsch, den viele hegen. Auch Wowereit wird längst mit entsprechenden Mails bestürmt. Öffentlich will aber kaum ein Kulturschaffender vorpreschen. Das ist verständlich: Kommt am Ende doch ein neuer Senator, dann ist der bekennende Goehler-Fan bei ihm schon unten durch – und das kann angesichts der finanziellen Lage fatale Folgen haben. Da war es schon mutig, dass der Berufsverband Bildender Künstler jetzt wissen ließ, man habe „große Hoffnungen“ in Goehler gesetzt.
Inhaltlich ist Rot-Rot ohnehin auf Goehler-Linie. Für die Koalitionsvereinbarung hätten SPD und PDS weitgehend abgeschrieben, sagt die Senatorin, was in ihrem Haus bereits für die Ampel-Gespräche erarbeitet wurde. Dazu zählt auch, dass der mächtige SPD-Stadtentwicklungssenator Strieder über den Abriss historischer Bausubstanz nicht mehr selbst entscheiden soll – der Denkmalschutz ebenso wie die Kunst im öffentlichen Raum soll an den Kultursenator gehen.
Nur beim Geld hört die Freundschaft auf. Aber der Riss verläuft nicht zwischen den Parteien, sondern zwischen Finanz- und Kulturpolitikern. In ihrem Ressort könne einfach „nicht gespart werden“, sagt Goehler, „bei 1,9 Prozent am Gesamthaushalt“. Es habe keinen Zweck, auf dem Papier Einsparsummen zu addieren – und am Ende festzustellen, dass sie sich gar nicht realisieren lassen. Und mit den realistischen Reformen hat die Senatorin längst begonnen. Gut möglich, dass eine zweite Amtszeit mit Goehler am Ende sogar billiger käme als eine Ablösung durch Strahlemann Gysi.
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