: Das Moor und die Moderne
■ Worpswede und Böttcherstraße zählen zu Bremens dicksten touristischen Pfunden. Zudem liefern beide Orte hervorragendes Anschauungsmaterial für die Affinität expressionistischer Künstler zur NS-Ideologie Von Peter Ringel
Golden schwebt der „Lichtbringer“ über dem Eingang der Böttcherstraße und schwingt sein Schwert gegen einen dreiköpfigen Drachen. „Schööön“, raunt es durch die Schar der Touristen, die sich um eine Gästeführerin drängen. Von ihr hören die Besucher Bremens einiges über Erzengel und Drachentöter – aber nicht, dass der Künstler mit diesem Relief beweisen wollte, „wie sehr ich unseren Führer und seine Taten verehre.“
Ebensowenig erfahren die vielen Touristen, die täglich durch die enge Gasse strömen, dass die heimliche Hauptstraße Bremens einst als „ein Versuch, deutsch zu denken“, konzipiert worden war – um „aus Verfall und Schmutz ein reines und starkes Deutschland entstehen“ zu lassen. Heute wird die Böttcherstraße als eine romantische Märchenstraße vermarktet, in der sich gediegen speisen, shoppen und Kultur goutieren lässt – der ideologische Hintergrund ihrer Entstehung wird ausgeblendet.
Bernhard Hoetger, der Architekt des Hauses „Atlantis“ und des Paula-Modersohn-Becker-Museums in der ehemaligen Handwerkergasse, wird vielmehr als ein Künstler vorgestellt, der „von den Nazis bekämpft“ worden sei, „die seine Bauten als Dokument des Entarteten stehen ließen.“ Doch von Hoetger stammt auch der oben angeführte Kommentar zum „Lichtbringer“-Relief, in dem er seine Bewunderung für Hitler erklärte. Das zweite Zitat stammt vom Initiator des Neubaus der Bremer Gasse, dem Kaufmann Ludwig Roselius, der in den Veröffentlichungen der Böttcherstraßen-GmbH lediglich als „widersprüchlich und bedeutend“ vorgestellt wird.
Kaum ein Besucher der historischen Straße wird vermuten, dass die neo-gotischen Giebel, die expressionistisch aufgetürmten Backsteinmassen des Paula-Modersohn-Becker-Museums oder das lichtdurchflutete Art-Deco-Treppenhaus im Haus Atlantis einen Zusammenhang zum nationalsozialistischen Denken aufweisen könnten.
Obwohl gerade die Expressio-nisten in zahlreichen Retrospektiven zur Kunst der klassischen Moderne immer wieder auf ein immenses Publikumsinteresse stoßen, ist deren politische Haltung vielen Kunstfreunden bis heute unbekannt. Mit faschistischer Ästhetik werden ausschließlich die Monumentalbauten eines Albert Speer oder der heroisierende Körper-kitsch eines Arnold Breker assoziiert. Dass auch manche Vertreter der künstlerischen Moderne zumindest die völkischen Anteile der Nazi-Ideologie teilten und in den dreißiger Jahren dem NS-Regime einen „nordischen Expressionismus“ als Staatskunst andienen wollten – ehe sich 1936 die naturalistische Linie des nationalsozialis-tischen Kultur-Ideologen Alfred Rosenberg durchsetzte – fällt meist unter den Tisch. Weil sie später als „entartet“ verfemt worden sind, gelten die Expressionisten in erster Linie als Opfer der faschistischen Kulturpolitik.
Auch Hoetgers Arbeiten fanden sich in der Ausstellung „Entartete Kunst“. Hitler wandte sich 1936 in einer Parteitagsrede scharf gegen die „nordischen Phrasen“ der „Böttcherstraßen-Kultur“; 1938 wurde der Künstler aus der NSDAP ausgeschlossen. Doch dabei wurde nicht die Integrität seiner nationalsozialistischen Überzeugung angezweifelt, die sich in seinen Äußerungen oder in seinem Entwurf für ein „Deutsches Forum“ mit seinem hakenkreuzförmigen Grundriss unzweideutig spiegelt. Vielmehr ging der Parteiausschluss darauf zurück, dass Hoetger in der Weimarer Zeit – wie im Fall der Figuren für die Fassade des Volkshauses in Walle – auch für die politischen Gegner der Nazis gearbeitet hatte.
Wie stark die Entstehung der Böttcherstraße und der Künstlerkolonie in Worpswede von Anfang an mit dem völkischen Denken verwoben war, beschreiben Arn Strohmeyer, Kai Artinger und Ferdinand Krogmann in dem Buch „Landschaft, Licht und niederdeutscher Mythos“, das im vergangenen Jahr im Weimarer VDG-Verlag erschienen ist. Nichts deutet darauf hin, dass diese Veröffentlichung in Bremen oder Worpswede den Umgang mit der Geschichte verändert hätte. Was nicht verwunderlich ist, da das Buch nach Ansicht der Autoren „totgeschwiegen“ wurde.
Den Zusammenhang zwischen dem Denken der Nazis und der Kunst im Norddeutschland der ers-ten Hälfte des 20. Jahrhunderts verorten Strohmeyer, Artinger und Krogmann im „Nordischen“ und „Niederdeutschen“. Als Schlüssel-Quelle dient dabei Julius Langbehns Buch „Rembrandt als Erzieher“, das nach seinem Erscheinen im Jahr 1890 sofort zum Bestseller und zum Kultbuch der deutsch-völkischen Bewegung avancierte. Dieses antiaufklärerische Werk wurde auch für die erste Künstler-Generation der 1889 gegründeten Künstlerkolonie Worpswede bestimmend. In einer bewussten Abwendung von der Großstadt suchten Maler wie Fritz Mackensen, Hans am Ende oder Otto Modersohn bei den „knorrigen Friesen“ unter dem „nordischen“ Licht der Moorlandschaft nach einer „ursprünglichen“ Einheit zwischen Natur und Volk. Gegen die entstehende moderne Massengesellschaft setzten sie wie Langbehn die Vorstellung einer mystischen, in der Landschaft verwurzelten Volksgemeinschaft. Von da führte kein zwangsläufiger, aber ein kurzer Weg zur Blut und Boden-Ideologie des „Dritten Reiches“.
Aufgrund ihres „gesunden Naturalismus“ und wegen der Gebundenheit ihrer „Heimatkunst“ an die „niederdeutsche“ Scholle wurden insbesondere die Worpsweder Künstler der ersten Generation wie Mackensen und Otto Modersohn von den Nazis hoch dekoriert – beide erhielten die „Goethe Medaille“. Mackensen gestaltete als Direktor der 1933 gegründeten „Nordischen Kunsthochschule“ in Bremen die NS-Kulturpolitik mit und stellte auch seine Malerei in den Dienst der Propaganda, wie sein Gemälde „Reichsarbeitsdienst“ zeigt. In der Bundesrepublik ging die Preisverleihung weiter: Mackensen erhielt 1952 das Bundesverdienstkreuz. Die gleiche Auszeichnung ging am 13. Oktober 2001 an Christian Modersohn, einem Sohn Otto Modersohns, der während des zweiten Weltkriegs ebenfalls als Propaganda-Maler tätig war, wie Krogmann erklärt.
Statt der erhofften öffentlichen Diskussion über das Buch „Landschaft, Licht und niederdeutscher Mythos“ sahen sich einer der Autoren und der Verlag mit einer Klage konfrontiert. Ein Sohn des Worpsweder Schriftstellers Waldemar Augustiny verlangte den Rückruf des Buches und die Unkenntlichmachung von sechs Passagen, weil er der Ansicht war, dass sein Vater als Verbreiter nationalsozialistischen Gedankenguts verunglimpft werde – während er in Wirklichkeit nichts mit den Nationalsozialisten gemein hätte. Er sei ein Menschenfreund gewesen, der in seinen Werken nach einer besseren Welt gesucht habe. Im Mai dieses Jahres lehnte das Landgericht Verden die Klage als nicht begründet ab und verwies auf eine „umfassende Deutungs- und Interpretationsfreiheit“ der Literaturkritik.
Nicht nur in Worpswede selbst, sondern auch überregional wird der ambivalenten Geschichte der Künstlerkolonie kaum Rechnung getragen. Dass Worpswede heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg in eine Reihe mit anderen europäischen Künstlerkolonien gestellt wird, stößt bei den Autoren auf Unverständnis. In einer Pressemitteilung des Nürnberger Museums heisst es, dass mit der aktuellen Ausstellung „Künsterkolonien in Europa“ der „europäische Gedanke“ aufgegriffen werde, „wie er von den Künstlern vor 100 Jahren bereits gelebt worden ist.“ Doch ausgerechnet einen völkerverbindenden Geist in der Worpsweder Künstlerkolonie zu verorten, erscheint angesichts ihrer deutsch-nationalen Ausrichtung als fragwürdige Interpretation.
Wie die meisten Maler und Schriftsteller in dem Dorf am Rande des Teufelsmoors fühlte sich auch Ludwig Roselius dem „Niederdeutschen“ verpflichtet. Das Denken des Bremer Kaufmanns, dem Initiator der Neugestaltung der Böttcherstraße zwischen 1922 und 1931, wurde wesentlich von dem Germanenmystiker Hermann Wirth beeinflusst, dem ersten Präsidenten des „SS-Ahnenerbes“.
Roselius, der sein Vermögen der Erfindung des entkoffeinierten Kaffees verdankte, wollte in der Böttcherstraße „der Menschheit die wahre Geschichte über den Ursprung unseres Volkes glaubhaft machen.“ Mit Wirth verortete er die Herkunft der Deutschen auf dem sagenumwobenen Kontinent Atlantis, von dem alle Hochkulturen der Welt ausgegangen seien. Von dort stammten für Roselius die „arischen Germanen“ und deren anderen „Rassen“ überlegene Kultur, aus der die „niederdeutsche“ beziehungsweise „nordische“ Kunst hervorgegangen sei.
Direkter Ausdruck dieser esoterischen Lehre war das Haus Atlantis. Das submaritim wirkende Treppenhaus aus Stahl, Glas und Beton führt hinauf in den parabelförmigen Himmelssaal, dessen Wände mit den Namen der großen „deutschen Tatmenschen“ von Arminius bis Adolf Hitler versehen waren. An der Fassade – heute ist dort eine Arbeit von Ewald Mataré zu sehen – war ein hölzerner Lebensbaum angebracht, versehen mit Symbolen aus der nordischen Mythologie. In dessen Mitte hing der Germanengott Odin als ein „nordischer Christus“ am Kreuz – ein Versuch, den christlichen Mythos zu germanisieren. Im Gegensatz zu anderen Teilen der Böttcherstraße, die von den Bomben der Alliierten zerstört wurden, ist der Lebensbaum nicht wieder hergestellt worden.
Im Haus Atlantis war auch die „Sammlung Väterkunde“ untergebracht. Mit prähistorischen Ausstellungsstücken wollte Roselius hier die Theorie der atlantischen Germanen und die Überlegenheit ihrer Kultur belegen. Heute befinden sich die Exponate im „Roselius-Museum für Vor- und Frühgeschichte“, das 1971 der „Grossen Kunstschau“ in Worpswede – die in einem expressionistischen Hoetger-Bau untergebracht ist – angegliedert wurde. Doch wer hier nach einem Hinweis auf die Geschichte der Sammlung sucht, wird enttäuscht: Zu welchem Zweck die Luren, Dolche und Runensteine einst zusammengetragen wurden, erfahren die Besucher des Worpsweder Museums nicht.
In der Böttcherstraße werden von einem Mitarbeiter des Archivs Schulungen für die GästeführerInnen angeboten. Allerdings: „Wenn die Damen den Touristen nichts erzählen“, könne sie das auch nicht ändern, sagt Susanne Walther, Geschäftsführerin der Böttcherstraßen-GmbH. Dieser Tochter der Sparkasse Bremen gehören bis auf das Haus Atlantis alle Immobilien der Straße. Walther geht davon aus, dass die Besucher die NS-Geschichte der Straße „doch gar nicht interessiert“. Außerdem mangele es schlicht an Platz, um sie präsentieren zu können.
Dem Leiter der Kunstsammlungen in der Böttcherstraße, Rainer Stamm, fehlt es an Exponaten in seinen beiden Museen, um auch die Ideologie hinter der Straßengeschichte darstellen zu können. Zudem wolle er nicht „manisch auf dem Thema herrumreiten“. Um die völkische Dimension der Bremer Straße aufzuzeigen, verweist Stamm wiederum auf das „Roselius Museum“ in Worpswede als „geeigneteren Ort“.
Auch wenn die Touristen in der Böttcherstraße keinen Hinweis auf die völkisch-nationale Straßengeschichte finden, wird andererseits auch nicht versucht, die Ambivalenz zu verheimlichen. Kürzlich erschien ein Hörbuch mit einem Radio-Feature aus dem Jahr 1932 über die Straße (vergleiche taz bremen vom 22. November), dessen Booklet immerhin kurze Andeutungen enthält. Im Katalog der Hoetger-Ausstellung von 1998 wurde dessen Werk in Teilen kritisch gewürdigt. Spannend ist nun, wie die Entstehung der Straße anlässlich der für April geplanten Ausstellung „Marke und Mäzen“ dargestellt werden wird. Es ist zu hoffen, dass nicht nur Roselius' Marketing-Talent für Kaffee und Kaba, sondern auch für völkisches Karma Gegenstand der Schau ist.
In der Böttcherstraße ließe sich hervorragend illustrieren, dass es trotz moderner Ästhetik oft nur ein Schritt zum rassistischen Überlegenheitswahn der Nazis war. Statt nur die eine Straßenseite zu zeigen, könnte hier die faszinierende Widersprüchlichkeit aufgezeigt werden, die sich aus der Verbindung zwischen heimattümelnder Regression mit der künstlerischen Moderne ergibt.
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