in fußballland: CHRISTOPH BIERMANN über die natürliche Art
Ein jeder finde seinen Huub
Nachdem mir Huub Stevens allerlei Dinge über seine Zukunft als Trainer beim FC Schalke 04 erzählt hatte, die schon zu jenem Zeitpunkt rechter Mist waren, weil er sich bereits entschlossen hatte, den Klub zu verlassen und dies auch zumindest dem inneren Zirkel des Vereins mitgeteilt hatte, also das Interview im Nachhinein betrachtet eine reichlich sinnlose Angelegenheit war und am besten gar nicht verabredet, geführt, bearbeitet, gedruckt und schließlich auch noch gelesen worden wäre, womit eine Menge verschwendeter Lebenszeit nicht verschwendet worden wäre, kam der Schalker Trainer schließlich doch noch auf etwas, das den Lauf der Zeiten überstehen könnte. Ein wenig zumindest.
Irgendwie führte unser Gespräch zu dem, was Stevens zufolge die „natürliche Art“ eines Spielers sei. Er erläuterte dieses Konzept am Beispiel des nach wunderbaren Aufschwungs etwas dahindümpelnden Gerald Asamoah, den er in einem der letzten Spiele auf seiner gewohnten Position auf der Außenbahn so weit nach hinten versetzt hatte, dass Asamoah damit quasi zum Verteidiger wurde. Das war nicht unbedingt einer Not oder Verzweiflung entsprungen, sondern weil Stevens etwas in dem eigentlichen Stürmer erblickt zu haben glaubte. „Manche Spieler wissen gar nicht, was ihre natürliche Art ist“, erläuterte er. Zur natürlichen Art von Asamoah würde nämlich eine besondere Zweikampfstärke in der Defensive gehören, die dem Spieler selbst und offensichtlich auch vorhergehenden Trainern nicht aufgefallen war oder von ihnen nicht berücksichtigt wurde.
Bei Tomasz Hajto übrigens hatte Stevens die genau gegenteilige Art erkannt. Als der Pole noch in Duisburg spielte, war nur seine rustikale Spielweise als gnadenloser Verteidiger und eine adäquate Anhäufung Gelber Karten aufgefallen. Ansonsten galt er als so schlichter Holzfuß, dass man dem Ball keine zu lange Verweildauer am Fuß von Hajto wünschen mochte. Ich musste Stevens gegenüber zugeben, dass man in Schalke dann so manches verblüffende Dribbling, intelligentes Passspiel und andere Finessen von Hajto erleben konnte, die wohl doch zu seiner natürlichen Art gehören, der Raum zu geben ihn der Trainer ermutigt hatte.
Schließlich führte Stevens als drittes und abschließendes Beispiel seinen Mannschaftskapitän Tomasz Waldoch an, der als solcher vor Beginn der Meister-der-Herzen-Saison ziemlich überraschend vom Trainer eingesetzt worden war. Waldoch ist nämlich ein äußerst zurückhaltender, mitunter fast rehhaft scheu wirkender Zeitgenosse, der überdies der deutschen Sprache nicht ganz Herr ist, also überhaupt kein wuchtiger Leader, wie sie den Männerbünden in kurzen Hosen zumeist vorstehen. Trotzdem erkannte es Stevens als Teil seiner natürlichen Art, ein Team zu führen, weil Waldoch ein engagierter Musterprofi ist, der stets als erster zum Training kommt, dort immer seine Arbeit bestens erledigt, seinen Körper pflegt und pflegen lässt, in der Gruppe keinen Unfrieden aufkommen lässt, sich kurzum vorbildhaft verhält. Und als Kapitän der Mannschaft längst etabliert ist.
Nun erzählen Trainer gerne, dass sie Perspektiven auf Spieler entwickeln, die keiner ihrer Kollegen je hatte und ein weit verbreiteter Traum ist es, als der Mann in die Geschichte einzugehen, der aus Oliver Bierhoff einen begnadeten Außenverteidiger machte. Oder so. Aber Stevens Beispiele waren, weil nachprüfbar, durchaus überzeugend. Außerdem erlag ich dem Charme der „natürlichen Art“ deshalb gleich, weil ich mich damit wunderbar identifizieren konnte. Es lädt schließlich jeden ein, über seine „natürliche Art“ nachzudenken und lässt die Hoffnung mitschwingen, dass wir dem Huub Stevens unseres Lebens begegnen, auf dass er uns entdecken möge.
Denn selbst können wir das ja am wenigsten, wofür das Gespräch mit Huub Stevens den Beweis gleich mitlieferte. Denn er hatte noch nicht erkannt, dass es wohl nicht zu seiner natürlichen Art gehört, Interviews über seine Zukunft zu geben, wenn er doch nichts oder nur Mumpitz erzählen kann.
Fotohinweis:Christoph Biermann, 41, liebt Fußball und schreibt darüber
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