coole giggler und uncoole musik von KARL WEGMANN:
Willy blättert in einer Zeitschrift, Hermann hat sein breitestes Grinsen aufgesetzt und liest „Das große Giggler Geheimnis“ von Roddy Doyle, Konscho futtert schwarze Oliven, Bernd holt gerade neues Bier, und ich begutachte Willys Weihnachtsgeschenke.
„Giggler sind absolut cool“, sagt Hermann und giggelt dabei hemmungslos. „Was cool ist, bestimmt inzwischen der Spiegel“, erwidert Willy und löst damit allgemeine Heiterkeit aus. „Nein, ehrlich“, macht er weiter, „hier steht es: Die elf Gebote der Coolness. Also, Whiskeysaufen ist cool, Rauchen, Kumpel und Schweigen auch.“ – „Was soll das sein?“, fragt Konscho, „die Bibel der Parkpenner?“ – „Nee, Kultur-Spiegel, die meinen das bitterernst.“ – „Total uncool“, meint Hermann, „Giggler sind echt cool.“ – „Die Zeitgeistmacher geben auch praktische Lebenshilfe“, sagt Willy, „hier steht: Wenn eine Frau dich fragt, ob du ihr nicht glaubst, dann sollst du antworten: ‚Baby, I don’t care‘.“ Wir trinken Bier aus der Flasche, was ziemlich uncool ist, und stellen fest, dass zu viel Coolness eindeutig der Lebensqualität schadet.
Dann entdecke ich unter Willys Weihnachtsgeschenken ein neues Box-Set und schiebe eine der vier CDs in den Player. Wir hören „Hard Headed Woman“, eine Live-Aufnahme aus dem Jahr 1976. Betroffenes Schweigen. Dann sagt Konscho: „Ist das der, von dem ich glaube, dass er es ist?“ – „Genau“, grinse ich, „das ist Steven Demetri Georgiou alias Yusuf Islam, besser bekannt als Cat Stevens.“ – „Das ist nun aber überhaupt nicht cool“, Hermann schüttelt den Kopf. „Äh, äh“, stammelt Willy, „hab das Teil geschenkt bekommen und, und . . .“ – „Das ist der Mensch, der den Mordaufruf an Salman Rushdie unterstützt hat“, empört sich Hermann. „Bei dieser Aufnahme war er noch kein Islamist“, erkläre ich, „nur Vegetarier, er konvertierte erst 1978 zum muslimischen Glauben“. Und schon haben wir eine wilde Debatte über politisch korrekte Popmusik.
„US-Rundfunkstationen haben ihre Hörer aufgefordert, Cat-Stevens-LPs zu verbrennen“, werfe ich ein, „das ist für mich ein Grund, die Musik zu hören.“ – „Ja, aber Rushdie . . .“, schreit Hermann. „Neil Young hat mal Ronald Reagan unterstützt“, sagt Konscho, und Willy geht hoch: „Dafür hat er sich schon zigmal entschuldigt, was willst du eigentlich . . ?“ So geht das hin und her. Wenn die Diskussion abflacht, gieße ich Öl ins Feuer: „Yusuf Islam gründete ‚Islam Aid‘ für Flüchtlinge aus Afghanistan, Palästina und dem Sudan, außerdem fuhr er kurz vor Ausbruch des Golf-Krieges in den Irak und erreichte die Freilassung von britischen Muslimen und . . .“ – „Jajaja“, kreischt Hermann, „aber was ist mit Rushdie?“ Während wir uns weiter im Kreise drehen und vor lauter Aufregung das Bier eingesogen wird wie Sauerstoff, lege ich CD nach CD auf, und ganz allmählich kriecht die verdammte Nostalgie in die Runde. Bei „Morning Has Broken“ bekommt Konscho glasige Augen und lächelt: „Wisst ihr noch? Die Knutschereien in Willys Partykeller?“. So geht’s versöhnlich weiter. Wir stellen fest, dass uncool besser ist, Giggler aber trotzdem cool sind und politische Korrektheit? „Baby, I don’t care.“
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