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Viva Abwicklung!

Lieber sich ausbeuten lassen als gar nicht mehr vorkommen: Die Schließung des Senders Viva Zwei ist noch nicht verschmerzt. Alternativrocker und Subkulturaktivisten leisten kämpferisch Trauerarbeit

Vorbereitung auf ein Leben zwischen Aktienkursen und 0190-Nummern

von RENÉ MARTENS

Popfans neigen dazu, hysterisch zu werden, wenn Stars sterben oder sich mal eine Teenieband auflöst. Dass jedoch das Verschwinden eines Fernsehkanals solche Reaktionen auslöst, hätte man bis vor kurzem für nicht wahrscheinlich gehalten. Möglich gemacht hat es nun das Ende des Senders Viva Zwei, der am 7. Januar durch das Programm Viva Plus ersetzt wurde.

Die vermeintliche Nummer zwei hatte sich zu einem Renommierobjekt der Kölner Viva Medien AG entwickelt, weil sie auch abseitige Musik vieler Art präsentierte – das brachte allerdings, wie das so üblich ist bei solchen Projekten, permanente Verluste mit sich. „Dass das auf die Dauer nicht durchzusetzen war, ist logisch“, sagt jetzt der Berliner Konzertveranstalter Berthold Seliger (John Cale, The Walkabouts). „Viva ist eben ein kapitalistisches Unternehmen und kein Kulturkanal.“

Solche Einschätzungen haben jedoch einige Frustrierte nicht davon abgehalten, einen Protest zu organisieren, der in den letzten Wochen bizarre Ausmaße angenommen hat. Es gibt schon derart viele Websites, dass zum Beispiel www.vivaplus.net es für angemessen hält, sich als „die älteste Widerstandsseite rund um das Thema Viva Zwei“ anzupreisen. Auf www.viva-zwei.de/vu deklamierte ein Musikfreund namens Willi sogar: „Was für andere der 11. September ist, ist für mich der 7. Januar.“ Und unter der Adresse www.fuckyouyoufuckingfuck.de gibt es schon Trauer-T-Shirts für 14 Euro.

Dass der Frust wächst, ist auch auf das Programm des Nachfolgers zurückzuführen. Man könnte Viva Plus den Sender mit den zwei Bändern nennen. Am unteren Ende des Bildschirms laufen stets zwei so genannte Crawls durch: Auf dem oberen gibt es Pop-News, auf dem unteren, in größerer Schrift, Beiträge der Zuschauer, die diese per E-Mail oder SMS senden können. „Ihr seid super!“, jubelt eine Absenderin den Machern zu, andere grüßen „Inga und das kranke Hühnchen Boris“ oder einfach „alle, die mich kennen“. Viva Plus bietet darüber hinaus die Möglichkeit, Liebesbotschaften zu verbreiten, wofür bisher Häuserwände genutzt wurden – und so kann es passieren, dass oben durchläuft, Bono Vox habe dies und das zu einem politischen Thema gesagt, während unten gerade ein Knabe seiner Angebeteten die ewige Liebe verspricht. Optisch erinnert Viva Plus an die Schmuddelwerbung, in der Sex via Telefonleitung versprochen wird, andererseits ähneln die Bänder den permanenten Börsennachrichten der Nachrichtenkanäle. Es scheint, dass die Nomenklatura von AOL TimeWarner – der Content-Riese ist zu 49 Prozent an Viva Plus beteiligt, hält zudem über seine Tonträgerfirmen Anteile an der Viva-Muttergesellschaft – die jugendlichen Zuschauer auf ein Leben zwischen Aktienkursen und 0190-Nummern vorbereiten will.

Das stört nicht nur eifrige Netz-Community-Mitglieder, die ihren alternativen Rock wiederhaben wollen; ins Zeug für Viva Zwei legen sich auch – da bahnt sich eine seltsame Koalition an – namhafte Subkulturaktivisten, die ein wichtiges Forum verloren gehen sehen. Deshalb haben das Berliner Indie-Label Kitty Yo und die Volksbühne dortselbst für heute Abend eine posthume Hommage organisiert. Unter anderem Echt und der etwas andere Songwriter Maximilian Hecker treten auf, vorab diskutieren Videoproduzenten und Plattenfirmenvertreter.

„Selten zuvor wurde das kulturelle Kapital aller verfügbaren Subkulturen so rückhaltlos für die Corporate Identity eines Medienkonzerns ausgebeutet. Zugleich stellte der Sender auch eine bis dahin undenkbare Öffentlichkeit für marginalisierte Musiken und Identitätsmodelle her, die viele als alternativ sich verstehende Ökonomien am Leben gehalten hat“, bringen es die dialektisch geschulten Veranstalter auf den Punkt. Tja, und nun, da der Höhepunkt der Ausbeutung erreicht war, ist den Gesellschaftern der Viva AG die Subkultur wurscht geworden. Ein Paradigmenwechsel, wie man in der Szene so sagt? Thorsten Seif, der bei Buback Tonträger (Jan Delay, Goldene Zitronen) arbeitet und heute Abend auf dem Podium sitzt, glaubt, dass die großen Tonträgerfirmen, die die Viva Medien AG tragen, in Krisenzeiten „auf den schnellen Euro“ aus sind. Deren Strategen dächten jetzt noch weniger „langfristig“ als zuvor.

Die Musikzeitschrift Spex konstatiert in ihrer aktuellen Ausgabe, Viva Zwei sterbe „gerade in Zeiten, da kein Kurzfilmfestival und kein Diskurs mehr ohne das Format Musikvideo als Spiegelbild für irgendwas“ auskomme. Klar, dass zum Beispiel die Organisatoren der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen die Entwicklung skeptisch beobachten, denn sie prämieren in einer gesonderten Sektion jährlich hier zu Lande produzierte Clips.

Für den Konzertveranstalter Berthold Seliger ist es besonders schmerzlich, „dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht bereit ist, die offensichtlichen Lücken, die jetzt entstehen, zu füllen“. Wie mit der veränderten Situation umzugehen ist, wollten heute ursprünglich auch einige ehemalige Mitarbeiter des abgewickelten Senders diskutieren. Ihnen sei jedoch „nahe gelegt“ worden, in Berlin nicht in ihrer Funktion als ehemalige Viva-Zwei-Mitarbeiter in Erscheinung zu treten, sagt Kitty-Yo-Sprecherin Sandra Passaro.

Die Frage, ob es sich um ein Verbot handele, vermochte der in seiner Außendarstellung notorisch unkonventionelle Kölner Sender nicht zu beantworten. „Das ist nicht unsere Veranstaltung, außerdem sitzen wir in Köln und nicht in Berlin“, wand sich eine Mitarbeiterin, um dann schnell anzufügen: „Bis auf einen arbeiten alle Exmitarbeiter von Viva Zwei für Viva Plus, und alle sind happy.“ Das kam ihr aber, kaum hatte sie’s gesagt, selbst etwas beknackt vor: „Zitieren dürfen Sie das nicht.“

„Nachtrock Spezial“, Volksbühne Berlin, Podiumsdiskussion ab 20 Uhr, Musikprogramm (mit Echt, Phantom/Ghost, Raz Ohara u. a.) ab 21 Uhr

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