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Können Flugzeuge böse sein?

Slater Bradley und Lisa Ruyter versuchen sich in ihren jüngsten Arbeiten am Leben. Wie viele andere möchten die amerikanischen Künstler nach den Anschlägen auf New York und Washington das Unerklärliche verstehen

Wer heute Kunst macht, kommt an Flugzeugen und Hochhäusern nicht vorbei

Amerikanisch, amerikanischer, am amerikanischsten – seit dem vergangenen Frühherbst hat das Adjektiv eine weitere Steigerung bekommen: 11. September 2001. Kaum ein anderes Ereignis in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika hat derartig ins Kontor der nationalen Befindlichkeit eingeschlagen wie die Terroranschläge in New York und Washington. Die zu Bomben umfunktionierten Passagierflugzeuge haben nicht nur ihre Spuren in Manhattan und im Pentagon hinterlassen, sondern – wie sich gerade in einer Ausstellung zweier junger New Yorker Künstler in der Galerie Arndt & Partner zeigt – offensichtlich auch einen tiefen Riss in der amerikanischen Gesellschaft. Vor allem: Wer heute Kunst macht, kommt an den Motiven Flugzeug, einstürzende Hochhäuser und Tod scheinbar nicht vorbei.

Und so sieht das dann aus: Die Schauspielerin Chloé Sevigny trägt in einer Video-Endlosschleife einen immer wieder gleichen Text vor. „power through joy“, Kraft durch Freude steht dabei in Nazi-Fraktur auf Brusthöhe ihres weißen T-Shirts. Man ahnt gleich, dass sie keine vermeintliche Loreley mit zum Bopp gestutzten Schopf vor wilder Meeresbrandung gibt, die von ihrem Liebeskummer spricht. Und auch nicht über ihr Unglück plötzlich lacht, fast kindisch, und irgendwie linkisch zuckt. Doch zunächst versinken ihre Worte in einer dramatischen Komposition aus Tönen, die unter die Haut gehen. Der Blick wandert zu den beiden anderen Wänden des großen Raums, auf denen zwei stumme Videos laufen. In dem einen reiht sich ein kleines Mädchen mit dunklen Haaren und einer langstieligen roten Rose in eine Menschenschlange ein. Alle haben Blumen und Karten, auf denen zum Beispiel steht: „Who is a hero?“

Als das Mädchen seine Rose niederlegen will auf einem Blütenberg, bemerkt sie die Kamera. Ein letzter fragender Blick. Ende. Das Video startet von neuem.

Auf der gegenüberliegenden Wand sieht man lediglich in weiter Ferne auf dem Dach eines Hauses eine Frau. Am Horizont steigen fette, graubraune Wolken in den blauen Himmel. Die Frau hat einen Fotoapparat in den Händen, manchmal knipst sie. Meistens aber steht sie nur da und schaut auf die Wolken. 24 Minuten lang. Und dann wieder 24 Minuten, wieder und wieder. Wie eine Caspar-David-Friedrich-Figur erstarrt sie in Ehrfurcht vor dem Unerklärlichen. Eine Frau und das Wolkenmeer. Die Schauspielerin an der Stirnwand hebt zum wiederholten Mal an. Allmählich werden die Worte klarer, man übersetzt sie sich aus dem Amerikanischen: „Denn schließlich – welcher Anblick wäre kläglicher als der des Lebens, wenn es sich in der Kunst versucht?“

Slater Bradley, 1975 in San Francisco geboren, versucht sich am Leben. Das Video mit dem trauernden Mädchen entstand 1999, einen Tag nachdem John F. Kennedy jr. und seine Frau Carolyn Bessette Kennedy mit dem Privatflugzeug abgestürzt waren. Chloé Sevigny ließ der momentan in New York lebende Künstler im vorletzten Jahr aus Thomas Manns Novelle „Tonio Kröger“ eine Passage über den Dilettantismus zitieren. Die Frau und das Wolkenmeer entstand am 11. September 2001 vom Dach seines Ateliers in Brooklyn aus. Viel Rauch um Manhattan und eine Frau, die zu kaum einer Reaktion fähig ist.

Nur, kläglich ist das alles überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil lullen einen Manns Worte in der Intonierung von Chloé Sevigny ein wie ein buddhistisches Mantra. Stundenlang könnte man von einer Wand zur anderen schauen. Am Ende vielleicht mitsprechen, um zu erkennen, wie lausig klein man selbst doch ist. Wie dieser Leutnant in der Mannschen Episode, von der sie erzählt. Oder wie die vereinzelten Figuren in Lisa Ruyters Acrylbildern im Nebenraum. Auf den einsamen Rollfeldern irgendwelcher Flughäfen. Nur Rümpfe von Verkehrsflugzeugen und einer US-Air-Force-Maschine sind zu sehen. Ausgemalt alles wie in einem Kinderbuch mit Malen-nach-Zahlen-Seiten. Erst zieht man von Ziffer zu Ziffer eine schwarze Linie, dann malt man die entstandenen Flächen mit den Lieblingsfarben aus. Bei Lisa Ruyter sind das Altrosa, Olivgrün, Aubergine, Ocker oder Taubenblau. Taubenblaue Bäume vor einem schweren rosa Himmel.

Lisa Ruyters Flugzeugbilder sind nach Fotovorlagen entstanden. Wie alle Bilder der aus Washington kommenden und heute ebenfalls in New York arbeitenden Künstlerin. Hätte die Galerie Arndt & Partner ihre Serie von Friedhofsbildern nach Berlin geholt, hätten auch die bunten Gräber bestens in den Kontext der jüngsten amerikanischen Geschichte und eben auch der ihrer Künstler gepasst. Doch gerade die Flugzeugfragmente in ihrer grellen Aufdringlichkeit fragen ständig: Können denn Flugzeuge böse sein? Und immer wieder schwappt von nebenan Chloé Sevignys Stimme herüber: „Da stand er und büßte in großer Verlegenheit den Irrtum, dass man ein Blättchen pflücken dürfe, ein einziges, vom Lorbeerbaum der Kunst, ohne mit dem Leben dafür zu zahlen.“

PETRA WELZEL

Arndt & Partner, Zimmerstr. 90–91, bis 23. 2., Di–Sa 11–18 Uhr

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