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„Gysi, rette unser Werk“

Kaum im Amt, steht Gregor Gysi der demonstrierenden Arbeiterklasse gegenüber. Das Berliner Traditionsunternehmen Borsig plant, über 100 Arbeitsplätze abzubauen. Der neue Wirtschaftssenator kann wenig Versprechungen machen

Gerade einmal eine Woche im Amt und schon musste sich Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS) gestern zum ersten Mal vor den Berlinern rechtfertigen. Zirka 200 demonstrierten vor dem Roten Rathaus für den Erhalt des Berliner Traditionsunternehmens Borsig GmbH. Die Unternehmensleitung plant, über 100 Arbeitsplätze in der Fertigungszentrale in Berlin-Tegel abzubauen. Nachdem der Vorstand vorerst keine Gespräche mehr mit den Angestellten führt, setzen die Borsig-Mitarbeiter nun auf den neuen Wirtschaftssenator. „Gregor, wir fordern dich auf, alles zu tun, um unser Werk zu retten“, sagte Peter Schwader, Betriebsratvorsitzender vor den Demonstranten.

In ihrer über 160-jährigen Firmengeschichte hat sich der Berliner Konzern zu einem der international führenden Hersteller von Apparaten in der chemischen Industrie entwickelt. Daneben tritt Borsig als Dienstleister im Industrieservice auf. Gysi verwies in seiner Rede auf die lange Tradition des Unternehmens und dessen Bedeutung für die Hauptstadt: „Borsig gehört nach Berlin, das ist einfach so.“ Daran müsse auch die Konzernmutter Babcock-Borsig denken.

Die sieht das anders. Obwohl Borsig im vergangenen Geschäftsjahr ein Umsatzplus von zirka 800.000 Euro erwirtschaftete, überlegt die Leitung, wie sie Kosten einsparen kann. Sie will die Fertigung nun in die spanische Küstenstadt Bilbao verlagern.

Betriebsratvorsitzender Schwader warf der Konzernleitung vor, das Werk in Tegel aus Profitgier schließen zu wollen. „Die spanische Tochterfirma ist größer“, erklärte Schwader. „Babcock-Borsig kann für den Standort Bilbao deshalb mit höheren Fördermitteln von Seiten der Europäischen Union rechnen.“ Andere Redner wiesen darauf hin, auch die Stadt Berlin habe Fördermittel zu vergeben. Diese solle sie in der Erhalt des betroffenen Werkes und der gefährdeten Arbeitsplätze investieren. Darauf nahm Gysi allerdings keinen Bezug.

Insgesamt zeigte sich der neue Wirtschaftssenator skeptisch, die Fertigung der Borsig GmbH erhalten zu können. Er verfüge in dieser Angelegenheit über keinerlei juristischen Mittel, die die Konzernleitung zu einem Erhalt des Werkes verpflichten könnten. „Was wir tun können, tun wir noch, aber ich bin leider pessimistisch“, sagte Gysi. Trotzdem kündigte er weitere Gespräche mit der Unternehmensleitung an.

Auch andere Politiker wollen sich für die Borsig-Mitarbeiter einsetzen. Frank Steffel, Vorsitzender der Berliner CDU-Fraktion, teilte mit, die Zukunft des traditionsreichen Berliner Unternehmens stehe auf dem Spiel. Zugleich appelierte er an die Konzernleitung, nicht die Existenz zahlreicher Berliner Familien zu gefährden. Der neue Senat müsse alles versuchen, um den Erhalt des Standortes zu sichern.

Ob das Borsig-Werk tatsächlich schließen muss, soll in einer Woche auf der Bilanzpressekonferenz des Unternehmens bekannt gegeben werden. Die Entscheidung könnte aber schon heute bei einer Sitzung des Unternehmensvorstands fallen.

MARIJA LATKOVIC

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