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berlin buch boomBei den Pankower Mächtigen zu HausLecker essen, schöne Möbel

Das war also so: In Pankow siedelten sich rund um das Schloss Schönhausen rechtschaffene Leutchen an, wohlhabende Menschen, Familientiere sozusagen. Sie erbauten Villen und Häuschen und machten sich den Garten hübsch fein. Dann kamen die bösen zwölf Jahre des letzten Jahrhunderts, und in den rechtschaffenen Leutchen ging der Ungeist um. Die jüdischen Mitbürger mussten fort, die anderen wurden oftmals braune Parteimitglieder und erwarben sich die verschiedensten Abzeichen, und die Firmen der Villenbesitzer verdienten mit einem Mal ganz gut daran, dass man im Krieg immer alles kaputtmacht und wieder neu aufbauen muss. Dann kam das Jahr 1945, die Parteiabzeichen waren wie von Geisterhand weggeworfen worden, auch die vor Tagen noch komischen, weil rassisch unreinen Nachbarn waren plötzlich wieder wohlgelitten, und die Kohlen knapp. Das alles war schlimm, ganz schlimm.

Noch viel schlimmer aber war: Jetzt standen die Russen vor der Tür, also die Sowjets, also die Bewohnerinnen und Bewohner jener Landstriche, die die deutsche Wehrmacht so generalstabsmäßig gründlich verwüstet hatte. So kamen die Sowjetsoldatinnen und Sowjetsoldaten in das Land, wo zwar die Kohlen knapp, die Bäuche aber noch fett waren, nahmen den rechtschaffenen Leutchen die Häuser weg und zogen selbst in sie hinein. Und mit den Sowjets kamen die noch viel böseren Kommunisten aus Deutschland: Ulbricht, Pieck, Becher. Direkt aus dem kalten Russland zurück in Deutschland, zogen sie ebenfalls in die Häuser, die ihnen gar nicht gehörten, und die jemands anderer Papi gebaut hatte.

Weil man dann Angst vor der Bevölkerung bekam, wurde das Gebiet plötzlich ausweispflichtig, denn die Herren und Damen Kommunisten waren Staatenlenker geworden und wollten die Arbeiter und Bauern nicht mehr ständig vor den eigenen Füßen haben. So entstand das Pankower „Städtchen“ am Majakowskiring, wenn man so will, eine Probezone für die spätere Siedlung Wandlitz.

In seinem Buch „In den Wohnzimmern der Macht“ beschreibt Hans-Michael Schulze das Gebiet, das in den Fünfzigerjahren Adenauer immer Anlass bot, von den Roten in „Pankoff“ zu reden. Schulze schreibt sehr kenntnisreich und hat bei seiner Recherche viel Material gesammelt. Ausgiebig spricht er darüber, wessen Möbel in wessen kommunistische Hände fielen, zeigt die zum Teil sehr kleinliche und spießbürgerliche Art der Selbstbereicherung bei den Genossen und macht es sich auch mit der Beurteilung der Faschisten nicht zu leicht.

Doch leider hat Schulzes Text kein Lektorat erfahren, zumindest ist davon so gut wie nichts zu bemerken. Niemand hat Schulze davon abgehalten, das Bürokratendeutsch aus den Akten zu kopieren. Niemand hat ihm gesagt, dass eine zu große Detailflut den Lesefluss hindert. Und auch hat ihn niemand darauf aufmerksam gemacht, dass man Wortfügungen wie Opfer des Faschismus, auch wenn sie sich auf ehemalige Moskauemigranten beziehen, schon lange nicht mehr in distanzierende Anführungszeichen setzt, denn: Der kalte Krieg ist vorbei.

Schulze will, so scheint es, gar nichts Böses, ist kein Freund Ulbrichts oder Piecks, ist aber auch kein Freund der Rechten – nur hat er die Rede von den zwei Diktaturen, die die Totalitarismustheorie aufgedrängt hat, so sehr verinnerlicht, dass er gar nicht darum herumkommt, die kommunistischen Führer als verbrecherische Persönlichkeiten zu behandeln.

Dabei zeigt sein Buch sehr gut, dass hinter dem so großen Wort von der Macht oft auch nur Leute stecken, die gerne schöne Möbel bei sich zu Hause haben wollen, einen hübschen Garten und was Leckeres zu essen auf dem Teller.

JÖRG SUNDERMEIER

Hans-Michael Schulze: „In den Wohnzimmern der Macht.“ Edition Quintessenz, Berlin 2001, 244 Seiten, 15 €

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