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Zwischen Rindern und Antilopen

In Namibia bieten immer mehr Farmen Ferienunterkünfte an. Müde Manager schätzen das Geländereiten auf dem Hochland

von CHRISTINA NACK

Gemächlich reiten die beiden Farmer in einem ausgetrockneten, sandigen Flussbett der heißen Mittagssonne entgegen. Mit den Augen suchen sie die Schlucht ab. Sie sind einer Pferdeherde auf der Spur, die sich während der Nacht einige Kilometer von der Farm entfernt hat. Ihre Pferde müssen ständig fußballgroßen Löchern ausweichen, die Erdferkel metertief in den lockeren Untergrund gegraben haben. Auf einem steilen Bergkamm zeichnen sich gegen den tiefblauen Himmel die Silhouetten einer Affenhorde ab. Ein paar Springböcke spurten leichtfüßig über den Flusslauf. Von den Pferden keine Spur.

Die Szene gehört weder zu einer Zigarettenreklame noch zum Vorspann eines Westerns, sondern beschreibt einen Ausschnitt aus dem Arbeitsalltag von Ivo Lühl. Der 47-jährige gebürtige Namibier betreibt die 4.800 Hektar große Gästefarm „Karivo“ im Westen Namibias, etwa achtzig Kilometer nordöstlich von Windhuk.

Karivo ist ein Paradies – nicht nur für Reiter. Die Pferde bewegen sich auf dem riesigen Areal völlig frei, werden nicht gefüttert und haben noch nie einen Stall von innen gesehen. Bei Bedarf aber lassen sie sich willig zur Farm treiben und reiten.

Seit drei Generationen leben die Lühls im früheren Südwestafrika, das Ende des 19. Jahrhunderts deutsches Kolonialgebiet wurde. Dies zwar nur für rund dreißig Jahre; dennoch hat diese Zeit Namibia nachhaltig geprägt – architektonisch und gesamtgesellschaftlich. Die deutsche Bevölkerungsmindertheit ist bei den einheimischen Stämmen durchaus angesehen. Völkerhass und rassistischer Fanatismus haben in Namibia nie solch verheerende Ausmaße angenommen wie in Südafrika, so dass die vielen Nationalitäten heute in weitgehender Harmonie miteinander leben. „Es gibt eben genug Platz, um sich aus dem Weg zu gehen“, schmunzelt Ivo Lühl.

Trophäenjäger sind eine wichtige Klientel für seine Gästefarm – neben Naturfreunden und Managern, die in der absoluten Ruhe und Abgeschiedenheit – neue Kraft tanken wollen. Nicht zuletzt sind chronisch Kranke eine Zielgruppe, Krebspatienten vor allem, die sich vom schlichten und doch elementaren Sein in dieser archaischen Landschaft heilende Energie erhoffen. Eine Welt, in der Tod und Leben jederzeit sicht- und fühlbar präsent sind, die nichts und alles zu sein scheint, Überfluss und Mangel, Reichtum und Armut zugleich.

Schon von den Terrassen der Lodges aus lassen sich Tiere beobachten, Strauße, die erhaben durch die hügelige Landschaft stolzieren, Pferde und Rinder, die auf dem Weg zur Wasserstelle an der Farm sind, aus der ebenso die stolzen Kudus, die niedlichen Steinböcke und die eleganten Kuhantilopen saufen.

Noch näher dran sind die Gäste bei den stets abenteuerlichen Ausflügen – zu Fuß, zu Pferde oder im offenen Geländewagen. Ivo Lühl gibt bereitwillig Auskunft über die vielfältige Flora und Fauna seiner Heimat, macht die Besucher aufmerksam auf die zahlreichen kleinen und großen Wunder hier. Erzählt von der seltsamen Verteidigungsstrategie der Dornenakazie, die sich mit der Entwicklung von Bitterstoffen gegen Verbiss durch Kudus und andere Antilopen wehrt, nimmt einen vermeintlichen Grasstengel in die Hand, der sich bei näherem Hinsehen als Stabheuschrecke zu erkennen gibt – perfekte Tarnung und Anpassung an die Umwelt sind überlebenswichtig.

Die Spaziergänge, Ritte und Ausfahrten durch den Busch sind eine Schule der Sinne – Sehen, Fühlen, Hören, Tasten, Riechen. Ruhe und Weite hüllen die Gäste ein und vermitteln Geborgenheit. Und immer scheint die Sonne, wärmt die Haut und streichelt die Seele. Die Eindrücke sind fremd, oft verzaubernd schön wie die Stimmen der vielen Vögel, es gibt betörende Gerüche, unbekannte Laute wie die schnaufenden Unterhaltungen der Paviane, das Schreien von Schakalen und Hyänen. Beängstigend kann das sein, auf jeden Fall aufregend, und allein das Wissen um die Gegenwart von Raubtieren, Skorpionen und Schlangen flößt den Gästen einen wohligen Schauer von Respekt ein.

„Ihr habt die Uhren, und wir haben Zeit“, bringt der Farmer den Unterschied zwischen namibischer und europäischer Lebensart auf den Punkt. „Leider“, so Lühl, werden die Farbigen magnetisch von der europäischen Konsumwelt angezogen. Viele verlassen ihre Stammesgebiete und ziehen in die wenigen Städte Namibias. „Erste“ und „Dritte“ Welt prallen dort besonders krass aufeinander, was unvermeidlich zur Entwurzelung von Herero, Damara, Ovambo und den anderen ethnischen Gruppen führt. Sie leben oft zwischen den beiden Welten, irgendwo in Blechhütten am Rande Windhuks, leben zwischen dem Gestern und dem Morgen und sind doch nicht im Heute angekommen.

Eine Farm von 5.000 Hektar, das ist die gängige Durchschnittsgröße hier. Das spröde Hochland, 1.700 Meter über dem Meeresspiegel, gibt nicht viel her, und darum war die Gegend hier für die einheimischen Afrikaner auch schon immer wenig attraktiv. Statt sich niederzulassen, zogen sie als Nomaden auf der Jagd nach Wildtieren durch Steppe und Busch – eine althergebrachte Lebensweise, die heute nur noch von den San, den so genannten Buschmännern, praktiziert wird.

Die schwarze Regierung unter Präsident Nujoma hat den Stämmen in einem ersten Schritt der noch nicht abgeschlossenen Landreform die regenreicheren und ackerbautauglichen Areale im Norden zugewiesen, während die weißen Farmen in den Halbwüsten im Süden und im Landesinnern liegen. Dennoch werden hier achtzig Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Produktion erwirtschaftet. Das liegt daran, dass die schwarzen Farmer nur sehr wenig Kenntnisse über Agrarmanagement besitzen und auch am anders gearteten kulturellen Hintergrund.

Bei einer jährlichen Niederschlagsmenge von nur 300 bis 400 Millilitern ist Ackerbau auf der Karivo-Farm undenkbar. Rinderzucht ist also die einzige wirtschaftlich relevante Form von Agrarwirtschaft in Namibia, und die funktioniert nur auf riesigen Flächen. Die Entscheidung, seine Farm für Gäste zu öffnen, ist für Lühl auch im Bemühen um ein zweites existenzielles Standbein begründet. In Südafrika, einst Hauptabnehmer von Rindfleisch aus Namibia, ist der Markt seit der BSE-Krise in Europa überschwemmt mit von der EU zu Schleuderpreisen auf den Markt gebrachtem Fleisch. Das hat zu einem dramatischen Preisverfall für namibisches Rindfleisch geführt – bei gleichzeitigem Anstieg der Ausgaben für Sprit, Löhne und Zinsen. Mit dem Tourismus versuchen die Farmer, die Krise zu überwinden.

So reiten jetzt nicht mehr nur Farmer durch die Weiten des Landes. In den ersten Tagen haben Neulinge meist Mühe, Lühls zusammengekniffenen Augen zu folgen, der mit dem typischen Blick von Menschen, die oft in die Weite schauen, auf eine Herde Antilopen aufmerksam macht. Das Sehen gelingt immer besser, das Atmen der dünnen, trockenen Luft auch, und am Abend, beim Lagerfeuer unter dem Kreuz des Südens am funkelnden Sternenhimmel, werden die Erlebnisse ausgetauscht. Von Ferne dringt das Grollen des Leoparden herüber, und ab und an fällt eine Sternschnuppe in die Weite dieser zauberhaften Landschaft. Es fällt schwer, das alles wieder zu verlassen.

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