piwik no script img

Gefährliche Pestizide auf Weltreise

E 605 von Bayer wird global nachgeahmt und verwendet. Durch Abkommen sollen solche Gifte aus dem Verkehr gezogen werden, fordern Umweltschützer beim Weltsozialforum in Porto Alegre. Chemiekonventionen sind noch nicht ratifiziert

von STEFAN WEILGUNY

„Das Dreckigste vom Dreckigen verschwindet langsam“, kommentiert ein Umweltschützer. Mit Wirkung zum 8. Januar hat die EU einen hochgiftigen Wirkstoff zur Insektenvernichtung aus dem Verkehr gezogen: Parathion. Produkte, die den Stoff enthalten, dürfen EU-weit nicht mehr vertrieben und angewendet werden, Kommunen und Chemiefirmen sollen Altbestände entsorgen. Das ist ein Erfolg für global agierende Umweltgruppen wie Greenpeace oder PAN (Pesticide Action Network). Denn seit Jahren kämpfen sie für eine weltweite Kontrolle des Pestizidhandels und das Verbot besonders gefährlicher Stoffe.

Doch Umweltschützer und Globalisierungsgegner wollen mehr: Internationale Konventionen und Sozialstandards sollen auch Arbeiter in Entwicklungsländern vor den laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) „extrem gefährlichen“ Pestiziden schützen. Gefahr bestehe nämlich vor allem bei unsachgemäßer Anwendung vor Ort: Wenn parathionhaltige Breitbandinsektizide – wie das vom Chemieunternehmen Bayer erfundene E 605 – von unzureichend ausgebildeten und geschützten Arbeitern ausgebracht würden.

Die „relativ hohe akute Giftigkeit des Präparats macht das Hantieren mit ihm zum Risiko“, heißt es in der Bayer-Schrift „Meilensteine“ über ihr ehemaliges Erfolgsprodukt E 605. Schon in der Entwicklungsphase seien Toxikologen zu dem Urteil gekommen: „Zu gefährlich für den Anwender und deshalb für die Verwendung in der Landwirtschaft völlig ungeeignet“.

Während Bayer nach eigenen Worten den weltweiten Vertrieb von E 605 eingestellt hat, wird es der Umweltgruppe Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG) zufolge in Entwicklungsländern wie Thailand, Vietnam oder Kambodscha von lokalen Firmen weiter produziert, gehandelt und angewendet. Dort sei Sicherheitskleidung für die Arbeiter oft unerschwinglich, meist könnten sie nicht einmal die Packungsaufschrift lesen, sagt Jan Pehrke von CBG.

Um die asiatischen Arbeiter zu schützen, müssten weltweit Sozial- und Umweltstandards Gültigkeit haben, fordern zur Zeit Globalisierungsgegner beim Weltsozialforum in Porto Alegre. Der Schweizer Schriftsteller Jean Ziegler plädiert für die Entwicklung und Durchsetzung international gültiger Grundsätze, die den freien Handel zum Wohl der Menschen beschränken. Die Einhaltung solcher Sozialklauseln soll nach seinem Willen dann mit Hilfe finanzieller Sanktionen gegen die Produzenten erzwungen werden.

Beim Handel mit Pflanzenschutzmitteln sind Greenpeace oder PAN zufolge schon wichtige Schritte in diese Richtung gelungen. So sollen zwei – von 122 Ländern unterzeichnete – Konventionen zum einen den Handel mit Pestiziden transparenter machen und zum anderen die Produktion bestimmter hochgefährlicher Mittel international verbieten. Gültiges Recht sind beide noch nicht: Dafür müssen sie zuerst von 50 Staaten ratifiziert sein. Der 1998 abgeschlossenen Prior Informed Consens- oder PIC-Konvention zufolge sind Exporte von Chemikalien, die auf der PIC-Liste stehen, zukünftig nur noch zulässig, wenn das Empfängerland zuvor über die Gefährlichkeit der Chemikalien informiert worden ist und dem Import zugestimmt hat. „Die PIC-Konvention funktioniert bisher nicht so gut, sagt Carla Weber von PAN Deutschland, „aber sie ist auch mehr als Bewußtmachungs-Instrument gedacht.“

Nach zähen Verhandlungen wurde dann im Mai 2001 in Stockholm die Konvention über persistente organische Stoffe (POP) unterzeichnet. Im Anhang befindet sich eine Liste mit den zwölf gefährlichsten Chemikalien, deren Produktion international verboten wird, sobald die Vereinbarung in Kraft tritt. Umweltorganisationen sollen dann mit darauf achten, dass sich Chemieunternehmen an das Abkommen halten und bestimmte Präparate nicht mehr produzieren, sagt Lars Neumeister von PAN.

Doch einigen Umweltkämpfern geht die Stockholm-Konvention nicht weit genug. „Man hat nur die Chemikalien auf die Liste gesetzt, die in weiten Teilen der Welt schon verboten waren“, sagt Jürgen Maier vom Forum für Umwelt und Entwicklung in Bonn.„Man hat zwar ein Instrumentarium geschaffen, aber das muss auch angewendet werden.“ Die Liste müsse auf jeden Fall erweitert werden.

Lars Neumeister widerspricht: „Man kann nicht sagen: Was hier bei uns im Norden verboten ist, darf international nicht mehr verwendet werden.“ In den Süd-Ländern herrsche oft tropisches Klima, das Pflanzen und Tieren ganz andere Wachstumsbedingungen biete als der Norden. Populationen von Schädlingen würden schneller wachsen, eine Ruhephase wie den Winter im industriellen Norden gäbe es meist nicht. „Die haben Schaben, die sind fünf Zentimeter groß. Die brauchen das Gift vielleicht“, sagt Neumeister. Man müsse sich schon Gedanken machen, welchen Stoff man verbietet. „Wir haben denen vor zwanzig Jahren die Pestizidtechnik exportiert, wir können denen das jetzt nicht einfach verbieten.“

Chemie-Websites: zu PIC http://irptc.unep.ch/pic , zu POP www.greenpeace.org/~toxics

allgemein: www.ifoam.org, PAN www.panna.org, Coordination gegen Bayer-Gefahren cbgnetwork.org

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen