: Der Berg der Regenbogenschlange
Knapp 130 Jahre nach seiner Entdeckung gilt der Ayers Rock als Wahrzeichen Australiens. In erster Linie aber ist er ein Heiligtum. Obwohl jeder Besucher die Gestalt des Uluru von Fotos her kennt, ist seine physische Gegenwärtigkeit magisch
von LUDWIG WITZANI
Am Anfang war die Regenbogenschlange. Danach entstanden Licht, die Wolken und der Regen, und aus der Erde erhoben sich die Ahnen, um gemeinsam mit der Regenbogenschlange die Welt zu erschaffen.
So soll es sich am Anfang aller Tage zugetragen haben – jedenfalls nach Meinung der Aborigines. Immer neue Erwanderungen der heimatlichen Erde, regelmäßige und rituell definierte Wiederholungen der uralten Benennungen in Liedern und Tänzen waren notwendig, um die Welt zu erhalten und eine spirituelle Brücke zur „Traumzeit“ zu schlagen. Denn obwohl die Ahnen nach der Schöpfung in die Erde zurückgekehrt sind, bleiben sie als Geister und Totems gegenwärtig. Auch die Regenbogenschlange ist nicht wirklich verschwunden – sie hat sich nur zusammengerollt und in den Uluru, den heiligen Berg der Anangu-Aborigines, verwandelt.
Das ist die eine Geschichte von der Entstehung des Ayers Rock. Die zweite ist profaner, doch nicht weniger spektakulär: Schon in den Zeiten, als sich der australische Kontinent noch auf seiner Reise durch die Urozeane befand, existierte der Ayers Rock bereits als ein aus seiner Umgebung herauserodierender und sich im Takt der Jahrmillionen immer weiter vergrößernder Sedimentblock. Irgendwann einmal, lange bevor sich der große Südkontinent den Ausläufern Südostasiens näherte, muss sich der gigantische Block im Zuge einer geologischen Faltung in der Erde gedreht haben, so dass er nun einen erdgeschichtlichen Augenblick später im stolzen Alter von etwa 600 Millionen Jahren in der Senkrechten wie ein Eisberg in der australischen Erde steckt – nur knapp 350 Meter die topfebene Erde überragend, während der Rest des Monolithen noch einige Kilometer tief in die Erde reicht.
Welche der beiden Entstehungsgeschichten des Berges man auch immer bevorzugen mag – in das Blickfeld der abendländischen Geografie geriet der große Felsen erst spät. Die Süd-Nord-Erschließung Australiens war mit der Gründung von Darwin bereits abgeschlossen, die Telegrafenstation von Alice Springs mitten im roten Herzen Australiens war gerade vollzogen, da entdeckten die australischen Forscher William Gosse und Ernest Giles fast gleichzeitig im Oktober 1873 etwa 450 Kilometer südöstlich von Alice Springs einen gewaltigen Monolithen – dazu auch ein etwa 36 Quadratkilometer großes Felsmassiv ungefähr 35 Kilometer westlich. Ernest Giles trug den großen roten Felsen als „Ayers Rock“ in seine Karten ein – womit Sir Henry Ayers, der damalige Regierungschef von Südaustralien, ohne sein Zutun ebenso in den Atlanten der Welt verewigt wurde wie die englischen Minister Sydney und Melbourne oder der Chef des indischen Kartografenamts, George Everest.
Heute benötigen die Linienflüge von jedem denkbaren Ort des australischen Kontinents zum Ayers Rock nicht einmal drei Stunden, und die Endlosigkeit der zentralaustralischen Wüsten, der so viele Entdecker zum Opfer gefallen sind, erscheint aus den luftigen Höhen wie ein dahinschwindendes System gemalter Punkte. Auch am Ort selbst braucht sich kein Tourist mehr mit den Entbehrungen des Outbacks herumzuschlagen – verfügt der Besucher nur über eine hinreichend gefüllte Reisekasse, kann er sich in dem Retortenstädtchen Yulara in unmittelbarer Nähe des kleinen Flughafens komfortabel einquartieren und die Sehenswürdigkeiten der Umgebung mit dem Mietwagen erkunden. Obwohl jedem Besucher die Gestalt des Uluru durch zahllose Abbildungen geläufig ist, zieht seine physische Gegenwärtigkeit magisch in ihren Bann.
Vor einer Umrundung und Erkundung des Bergs lohnt sich ein Besuch der nahe gelegenen Ranger Station und des Maruku Arts Centers, in denen man sich an Hand mehrsprachiger Informationsschriften sowie zahlreicher Fotografien und Exponate über die Geschichte des Bergs und die Kultur der Aborigines informieren kann. Dass der Ayers Rock keineswegs der größte Monolith der Erde ist – dieser Rang gebührt dem fast doppelt so großen und fast gänzlich unbekannten Mount Augustus in Westaustralien –, erfährt man zwar nicht, dafür aber wird die wechselvolle Geschichte des Parks nachgezeichnet. So wurde der heilige Berg der Regenbogenschlange den Ureinwohnern erst nach langen Rechtsstreitigkeiten im Jahre 1985 offiziell zurückgegeben – seitdem beruht die Existenz des Uluru-Kata Tjuta National Park auf einem Pachtvertrag zwischen den Ureinwohnern und der Zentralregierung, der unter anderem eine Beteiligung der Aborigines an der Parkverwaltung und den Parkeinnahmen vorsieht.
„Lehren und lernen“ ist das Motto der mehrsprachigen Informationsschriften, in denen der Versuch unternommen wird, den europäischen, amerikanischen und japanischen Touristen „Tjukurpa“, den grundlegenden Begriff der altaustralischen Ontologie, zu erklären. So erscheint Tjukurpa nicht nur als die universelle animistische Schöpfungsenergie, aus Tjukurpa entspringen auch Verhaltensmaximen, Bräuche und Tabus, an denen sich der traditionsbewusste Aborigine auch heute noch zu orientieren hat. Tjukurpa führte zur Entstehung der zahlreichen iwaras, der Traumpfade, auf denen die Schöpfung mit Gesängen und Geschichten von eingeweihten Anangu-Aborigines immer wieder aufs Neue bekräftigt wird, Tjukurpa reguliert die Aufteilung der Territorien zwischen den zahlreichen Stämmen und gebietet es, Fremden Gastfreundschaft und Schutz zu gewähren – was die Aborigines nicht zuletzt dazu veranlasst, alle Besucher zu bitten, in ihrem eigenen Interesse auf die nicht ganz ungefährliche Besteigung des Uluru zu verzichten.
„We did not climb Ayers Rock“ prangt deswegen auf den T-Shirts mancher Wanderer, die es vorziehen, anstelle der Besteigung den ganzen Berg im Rahmen einer mehrstündigen Wanderung zu umrunden. Sie meditieren am Mutitjulu Point, einem kleinen See mit Felsenmalereien der Aborigines, durchstreifen die Spinifexgräser und Eukalyptuswälder in unmittelbarer Nähe der steilen Abhänge und entdecken beim Berühren des großen Felsens mit ein wenig Fantasie, dass seine Oberflächenstruktur tatsächlich einer schuppigen Schlangenhaut gleicht.
Die überwiegende Mehrheit der Besucher belässt es allerdings bei einer Umrundung des Bergs mit dem eigenen Fahrzeug, um anschließend den Uluru über den offiziellen Aufstiegspfad zu besteigen – ein keineswegs ungefährliches Unternehmen. Dessen ungeachtet hangeln sich taugaus, tagein die Angehörigen der internationalen Touristengemeinde mit zum Teil recht ungeeignetem Schuhwerk unverdrossen den großen Felsen hoch.
Wenn alles gut geht, erreicht man als Teil einer langen Kraxelkarawane immerhin nach etwa einer halben Stunde das Plateau des Uluru. Übergangslos befindet sich der Wanderer nun in einer vegetationslosen Mondlandschaft, unterbrochen von hunderten kleinerer und größerer Mulden, durch die ein markierter Pfad nach einer weiteren Viertelstunde zu einem gusseisernen Richtungsanzeiger führt, der in 348 Meter Höhe über der Ebene ziemlich exakt den höchsten Punkt des Monolithen anzeigt. Wer allerdings eine imposante Aussicht erwartet, wird enttäuscht – am westlichen Horizont sind die Umrisse der Olgas zu erkennen, ansonsten gibt es nichts zu sehen als eine geradezu bedrückende Leere, so weit das Auge reicht. So bestraft der heilige Berg jene, die ihn missachten, sagen die Aborigines, denn seine Erhabenheit fordert Ehrfurcht und Distanz – auf seinem buckligen Rücken hat sich seine Großartigkeit gänzlich verflüchtigt.
Gleichviel ob der Besucher den Ayers Rock besteigt oder nicht – in der Stunde des Sonnenuntergangs ist Distanz angesagt, jene Distanz, die man, wie die Aborigines glauben, gegenüber dem Uluru ohnehin wahren sollte und ohne die er seine raffiniertesten abendlichen Farben nicht zeigt. Wolkeninseln ziehen heran, um sich unter der Regie des Windes zu immer neuen Formen zu verbinden – lange, dunkle Schatten kriechen über die Ebene, während die Riesenfelsen zu glühen beginnen, dass man fürchtet, das Mulgagras könne Feuer fangen. Eine Mixtur von blauweißen, grauen, roten und hellgelben Farbtönen koloriert den Horizont schließlich in solcher Pracht, als wolle die Natur vor der Vollendung ihres Tagewerks noch einmal ihren Malkasten präsentieren.
Manchmal ziehen sich auch die Wolkenfronten plötzlich in die Länge. Dann erscheint über dem blauschwarzen Grund des Himmels ein langer, hellgelber Streifen, rot eingedunkelt an seinen Rändern – ein Gebilde, das man mit einiger Fantasie gut und gerne für eine Regenbogenschlange halten könnte.
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