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Stoiber spielt in Frankfurt Eintracht

aus Frankfurt HEIDE PLATEN

Zwischen Messeturm, Marriott und Maritim Hotel Absperrgitter. Das Publikum, das da am Donnerstagabend in das Congress Center auf dem Frankfurter Messegelände strömte, war gemischt. Jede Menge junger Männner, jede Menge alte auch. Reichlich Trachtenjankerl, die bayerische Hausmacht trug Gamsbart auf dem Kopf. Die CDU hatte bundesweit zum Wahlkampfauftakt des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU) an der Mainlinie mobilisiert. Der Bus aus Hannover ist schon am Vormittag abgefahren. Die Nordlichter kommen bester Laune an und schwenken ihre Schilder: „Hannover für Stoiber!“

Das Häuflein wackerer Gegendemonstranten verliert sich auf dem mit rotweißen CDU-Sonnenschirmen und blauen Parteifahnen dekorierten Vorplatz. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warnt vor der „durchstoiberten“ Republik. Einige CDUler sind enttäuscht: „Ist ja gar nichts los hier.“ Da kommt Nostalgie auf: „Der Franz Josef Strauß hat viel mehr polarisiert.“ Auch der hatte seinen vergeblichen Wahlkampfkreuzzug 1980 in Frankfurt begonnen. Die Parole der Freien Deutschen Jugend (FDJ) stammt auch aus dieser Vergangenheit: „Wer in der Demokratie schläft, wacht im Faschismus auf.“ Einsam weht eine rote Fahne. Drinnen, im Foyer der Messehalle, werden Winkelemente verteilt, pro Mensch zwei Papierfähnchen, eines für Deutschland, eines für die CDU. Das passt manchem Bayern nicht. Ein als Oberförster ausstaffierter CSU-Anhänger wedelt stattdessen mit einem blauweißen Tischtuch.

Nur eine CDUlerin ist an diesem Abend nicht sehr glücklich. Maria Hahmann aus Heidelberg verkauft vor der Halle bemalte Ostereier. Der Erlös soll kranken Kindern auf der Krim helfen. Sie bittet, bettelt, hält manchen Gast am Revers fest, stellt sich in den Weg, breitet die Arme weit aus, in jeder Hand ein Ei: „Bitte kaufen Sie mir doch ein Ei ab! Sie tun bestimmt ein gutes Werk.“ Das Parteivolk will nicht. Keine Holzeier bei Stoiber. Maria Hahmann resigniert: „Die sind ja heute alle so stur.“

Die hoch motivierten Hannoveraner hätten beinahe draußen bleiben müssen. Sie werden vor einer Videowand im Nebenraum „Illusion“ abgestellt, denn der Saal „Harmonie“ ist überfüllt. Fast 4.000 Menschen drängeln sich dort, säuberlich nach Landesblöcken sortiert. Die Menge tobt im Vorfeld der Veranstaltung in landsmannschaftlicher Konkurrenz. Da ist Hessen vorn. Die Hamburger Musikgruppe Undercover intoniert Schlager von Wolfgang Petry. „Hölle, Hölle!“, schmettert das Publikum begeistert mit.

Musikalischer Schlussakkord: „the final count down“. Der Einmarsch der Gladiatoren wird stehend gefeiert. Vorneweg schreitet rotgesichtig der hessische Ministerpräsident Roland Koch. Hinter ihm kommt ein blasser Stoiber und versucht, sich an die Spitze zu setzen, drängelt, ruckelt, schiebt sich endlich an Koch vorbei. Der Beifall zur Begrüßung von Roland Koch, der Parteivorsitzenden Angela Merkel und von Edmund Stoiber bleibt in Länge und Phonstärke fast gleich.

Die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth empfängt die Gäste und ruft ihre Stadt lauthals zum Nabel der Republik und zum Beispiel für Deutschland aus. Von hier aus werde der Siegeszug der Union beginnen. Ministerpräsident Koch begrüßt Ehefrau Karin Stoiber staatsmännisch mit einem Blumenstrauß als „kleiner Leihgebühr für Ihren Mann mit dem Versprechen, dass wir ihn gut behandeln werden und lange behalten wollen“. Koch signalisiert Siegeswillen. Sein Auftritt wirkt dennoch nachlässig, rhetorisch so zurückgenommen, als wolle da einer nicht besser scheinen müssen als der Hauptdarsteller. Der Saal jubelt trotzdem. Angela Merkel gibt anschließend die gute Verliererin, entspannt und fast verschmitzt. Die Partei werde fürderhin nicht mehr streiten, sondern „meist einig und fast immer harmonisch“ in den Wahlkampf gehen. Wo nicht, da werde sie künftig mit Stoiber zusammen „ein Machtwort sprechen“ können: „Dann bin ich nicht mehr so allein.“

Der Saal applaudiert anhaltend. Merkel tapst auf ihren Platz. Soll sie, soll sie nicht? Noch einmal aufstehen und winken? Koch und Stoiber reden ihr zu. Und dann kommt der Kandidat. Stoiber nimmt einen Schluck Wasser und beginnt, als habe er Kreide geschluckt, artikuliert mit sanfter Stimme, schlägt die leisen Töne an, lächelt süß und milde. Die Gesten sind sparsam dosiert. Beide Hände halten rechts und links das Rednerpult fest. Über eine Stunde lang steigert er sich dann einem imaginären Höhepunkt entgegen, bewegt erst die eine Hand, dann die andere, dann beide, wird lauter, wieder leiser, brüllt am Ende fast. Und bleibt dennoch steif und hölzern, so gänzlich ohne das Charisma des barocken Vorgängers Franz Josef Strauß.

Stoiber tut, was Strauß nie getan hätte. Er reckt und streckt sich vergeblich zur bundesdeutschen Mitte, meint aber bestenfalls den Mittelstand. Die Rede tönt wie für ein bayrisches Heimspiel geschrieben. Die bundesweiten Versatzstücke verklingen wie angeklebte Liberalität. Stoiber beschwört primär die Sekundärtugenden Fleiß und Disziplin, den Wert der Familie, den Patriotismus, wettert gegen „unkontrollierte Zuwanderung“. Akribisch arbeitet er die innenpolitischen Kampfthemen ab. Verfehlte Steuerreform, verfehlte Bildungs- und Verteidigungspolitik. Der Kandidat signalisiert Siegeswillen und gönnt sich wenige Anflüge von Wortwitz. Scharping sei „kein Verteidigungs-, sondern ein Selbstverteidigungsminister“. Seinen Gegner, Gerhard Schröder, erwähnt er nur selten namentlich, nennt ihn meist „dieser Bundeskanzler“. Der habe es versäumt, „seine ruhige Hand aus der Tasche zu nehmen“. Für die Bundestagswahl am 22. September peilt Stoiber schon mal die 40-Prozent-Marke an.

Am Ende minutenlang Standing Ovations, „Edmund! Edmund!“-Rufe. Danach wabert die Fahne über die Videowand. Die Nationalhymne knarzt und krächzt aus der Konserve. Roland Koch singt mit der Miene eines braven Chorknaben mit. Stoiber übernimmt die Regie auf der Bühne, nimmt erst die Parteivorsitzende Merkel, dann Ehefrau Karin in den Arm. Draußen hat Maria Hahmann ihre Ostereier eingepackt. Sie hat nicht annähernd genug für ihre 1.500-Mark-Spende verkauft. Ein Werbefachmann wird am späteren Abend sagen, dass der Frankfurter Wahlkampfauftakt eher eine Generalprobe als ein Fanal gewesen sei.

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