: Befleckte Idyllen
Huldigung an gemeinsam verbrachte Zeit: Die umstrittene Berliner Ausstellung „Partnerschaften“ kombiniert Fotos von Wolfgang Tillmans mit der Malerei seines verstorbenen Freundes Jochen Klein
von OLIVER KOERNER VON GUSTORF
Fast scheint es, als wäre in diesem Künstlerkosmos am Anfang nicht das Wort, sondern ein groteskes Bild gewesen. So fällt der Blick zuerst auf die Gestalten von Ratten, Würmern, Lurchen, die – der Erde entrissen – in Kinderkleidung gestopft und als Wachsfiguren unter dem Glas einer Vitrine zur Schau gestellt sind. An der gegenüberliegenden Wand steigen Wolken auf in einen rötlich glühenden, vernarbten Himmel, dessen Weite von einem Schatten wie von der Lanze eines Eroberers durchbohrt ist: Bereits im Eingangsbereich der Berliner Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) entfaltet sich eine persönliche Schöpfungsgeschichte, die voller Zeichen der Revolte ist.
Gleich einer Helix zieht sich das fotografische Werk Wolfgang Tillmans gemeinsam mit der Malerei seines 1997 verstorbenen Freundes Jochen Klein in die Tiefe des Raumes. Auch wenn die Arbeiten einer zeitlichen Chronologie folgen, ändern sie beständig ihre Konstellation. Erst stehen sie sich parallel gegenüber, wechseln dann die Seiten, vermengen sich und kommen schließlich einander wieder abhanden. Auf kaum sichtbare Weise nähern sich hier Kunst und Lebensläufe an.
„Partnerschaften“ ist der Titel einer dreiteiligen Ausstellungsreihe, mit der die NGBK-Arbeitsgruppe mit dem sprechenden Namen „Unterbrochene Karrieren“ ihre Beschäftigung mit an Aids verstorbenen Künstlern, ihren Werken und Biografien fortsetzt. Nach dem Auftakt mit Gemälden des 1995 in Berlin verstorben Ull Hohn und Arbeiten seines New Yorker Freundes Tom Burr wird nun die Doppelpräsentation von Tillmans und Klein gezeigt, der Ende Februar die Retrospektive von Piotr Nathan und Matt Ranger folgen wird. Es ist wohl dem Popstarstatus des Turner-Preisträgers Tillmans zu verdanken, dass der Besucherstrom nicht abreißt und die momentan gezeigte Ausstellung zum Höhepunkt und Maßstab für eine Reihe wird, deren Zielsetzung nicht unumstritten ist.
Kritiker mögen sich fragen, ob eine durch eine Krankheit überschattete Beziehung ausreicht, um verschiedene künstlerische Ausprägungen miteinander in Zusammenhang zu bringen. Doch bereits die völlig unterschiedlichen Haltungen, mit denen sich Tom Burr und Wolfgang Tillmans dem Lebenswerk ihrer Partner ausgesetzt haben, rechtfertigen dieses Experiment.
War die erste Ausstellung von Burr und Hohn durch theoretische Praxis und kalkulierter Kontroverse geprägt, gleicht der von Wolfgang Tillmans und Frank Wagner konzipierte Aufbau der zweiten Schau einer unsentimentalen Huldigung an die mit Jochen Klein verbrachte Zeit von 1995 bis 1997 – einem raumfüllenden assoziativen Tagebuch, in dessen Zeugnissen sich die Massenkultur einer ganzen Epoche spiegelt: Blur-Sänger Damon Alban unter der Dusche, Fastfood, schwule Pornodarsteller, die über den Londoner Himmel ziehende Concorde, der Faltenwurf von Badehosen und hingeworfenen Jeans; Klein und Tillmans am Meeresufer in Puerto Rico, wobei es durch einen unbeabsichtigten Lichtreflex so scheint, als ob gerade zwei Monde aufgegangen wären.
Dazwischen finden sich die befremdlich paradiesischen Entsprechungen von Jochen Kleins Malerei: befleckte Idyllen, in denen Kinder, androgyne Jünglinge, Balletttänzerinnen und Frauenpaare sich verloren und entrückt in unterkühlten Landschaften ergehen, deren malerischer Duktus die Weichzeichnerästhetik David Hammiltons nachempfindet. Alles in diesen Gemälden scheint sich im Zustand ständiger Evolution zu befinden, schmutzige Farbströme verwischen sich zu Nebeln, überlagern Bildteile oder formen sich zu Geäst und Vegetation.
„Tillmans Bilder lieben es, zusammen zu sein, sie hassen es, allein zu sein“, schrieb der Kritiker Jerry Saltz 1998 in der Village Voice. Das Kunststück, das diese Ausstellung vollbringt, liegt darin, darzustellen, dass dieser Hang zur Gemeinschaft auch Kleins Oeuvre mit einschließt, ohne es zu vereinnahmen. Kleins Spätwerk wie auch die Dokumente seiner Zusammenarbeit mit der New Yorker Konzeptgruppe „Group Material“, die sich medienkritisch mit Globalisierung, Militarismus, queer politics und Aids auseinandersetzte, werden von Tillmans aufgegriffenen – als Elemente einer assoziativ erzählten Geschichte, die sich über die Wände breitet.
Es kann ebenso eine Geschichte der Liebe von Wolfgang und Jochen sein wie auch die von Jochens Verhältnis zur Malerei oder eine übers Fliegen, über Mode, Begehren, den Tod oder die von einem Nachmittag mit Kate Moss. Geschickt widersetzt sich diese mit persönlichen und kollektiven Erinnerungen aufgeladene Konstruktion der Hierarchie zwischen vermeintlich Banalem und Bedeutungsvollem. Und so behandelt Tillmans die Arbeiten seines Freundes wie eines seiner Motive, die Ausstellung für Ausstellung in immer wieder neuen Remixen ihre Rollen ändern.
Das, was in Tillmans Bildern wie das Ergebnis einer Freundschaft erscheint, die mit allem und jedem begehrt wird, ist tatsächlich Ausdruck von künstlerischer Distanz. Eben dieser Umstand befreit den Blick auf Kleins Arbeiten von den Fesseln der Biografie, jenem unbegründeten Mitgefühl, das sich zwischen den Betrachter und das Werk des früh Verstorbenen schieben könnte. Tillmans „Deer Hirsch“ von 1995 zeigt Klein in das Zwiegespräch mit einem Hirsch versunken, die Arme wie ein Geweih vorgestreckt. Alles an diesem Moment erscheint konzentriert und getragen von dem Bewusstsein, durch etwas Besonderes verbunden zu sein: die Liebe zur perfekten Komposition.
„Partnerschaften: Jochen Klein und Wolfgang Tillmans“, NGBK Berlin, bis 17. Februar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen