: Bin Laden aus Tschotschmauntn
aus Georgenberg BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA
Wenn man Alfred Schriml in seinem Büro sitzen sieht, verwandelt sich sein Bürostuhl in einen Thron. Aus dem grauen Anzug mit grauen Hemd und violettem Schlips mit weißen Punkten, in dem sein kurzer, kräftiger Körper steckt, wird ein Königsmantel und auf seinem breiten Kopf erscheint eine Krone. Alfred Schriml ist ehrenamtlicher Bürgermeister in der Provinz und die Metamorphose des 46-Jährigen hat mit Stolz, mit viel Stolz, und einer Portion Selbstverliebtheit zu tun. „Ich war ein politischer Nobody und keiner räumte mir Chancen ein“, tönt er vom Thron herab.
Die Gemeinde Georgenberg in Bayern, etwa 15 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. Hier hat Alfred Schriml von den Freien Wählern der CSU vor sechs Jahren das Bürgermeisteramt abgejagt. Nach 36 Jahren CSU-Regierung. Und obwohl die Freien Wähler in der Gemeinde mit 1.400 Einwohnern nur 25 Mitglieder haben, die Union aber doppelt so viele. Am 3. März ist die nächste Bürgermeisterwahl und die CSU will das Amt zurückgewinnen.
Schafft sie das, müsste sich Alfred Schriml wieder auf seinen eigentlichen Beruf konzentrieren, er betreibt einen Kundendienst für Löschtechnik. Als Kundendienst sieht er auch das Bürgermeisteramt. Er sagt: „Der Kunde ist König“, und Thron, Königsmantel und Krone verschwinden. Schriml holt ein DIN-A 4-Blatt aus dem letzten Wahlkampf hervor. „Unseren Kunden“, steht da „tun wir keinen Gefallen, wenn wir ihnen dienen, sondern sie machen uns eine Freude, sie bedienen zu dürfen.“ Der Bürgermeister referiert. Über das „Amt des Dienens“, über Kameradschaft und Treue, die er in einem katholischen Kloster gelernt habe.
Die K-Frage
Das mit dem Bedienen ist allerdings in der „K-Frage“ etwas anders. Der Ausdruck steht im Georgenberger Rathaus für die Kaffeefrage. Durch die halb geöffnete Tür seines Amtszimmers ruft Schriml abwechselnd nach „Josef“ und nach „Sepp“. Gemeint ist Josef P., zuständig für die Verwaltungsarbeit. „Josef, bringst uns einen Kaffee?!“ Es klingt nicht wie eine Bitte. Josef P., ein Mann mit akkuratem Schnauzer und mit 46 Jahren genauso alt wie sein Chef, eilt in leicht gebückter Haltung herein, in den Händen das Kaffeegeschirr. Er ist bemüht, keine Geräusche zu verursachen. Kaum ist er aus der Tür, wirft ihm Schriml hinterher „Sepp, und vergiss nicht die Kaffeesahne. Du weißt schon, im Kühlschrank!“ „Und die Löffel!“
Die Rollen zwischen beiden Männern scheinen klar verteilt im Rathaus. Man mag kaum glauben, dass es einmal anders werden sollte, dass ausgerechnet der, den Schriml wie einen Kellner in der Probezeit vorführt, den Bürgermeister vom Thron stürzen sollte. Im Auftrag der CSU. Josef P., Schriftführer seiner Partei, sollte gegen Schriml als Bürgermeisterkandidaten ins Rennen gehen. Verdientes Parteimitglied, umsichtiger Beamter, erfahrener Verwaltungsfachmann und ein Schwiegervater, der einst CSU-Bürgermeister war – viele hielten ihn für den geeigneten Kandidaten. Selbst seine Nebentätigkeit als Fotograf und Autor für die Mittelbayerische Zeitung legten die Parteifreunde als Vorzug aus: Als Berichterstatter gehe er eh auf alle Gemeinderatssitzungen und Vereinsversammlungen.
Josef P. spricht nur äußerst ungern über die Sache mit der Kandidatur. In seinem Zimmer im Rathaus, nur wenige Meter von Schrimls Büro entfernt, verschanzt er sich hinter seinem Computer. Fotografiert werden möchte er nicht, obwohl er doch selber für eine Zeitung arbeitet. Anfangs, hatte er schon am Telefon erzählt, habe er der Vorstellung, gegen Schriml anzutreten, etwas abgewinnen können: „Warum nicht?“ Später seien ihm Zweifel gekommen, weil nicht alle in der CSU ihn voll unterstützten. „Muss ich nicht haben“, habe er da gesagt. Kaum wurde er schwach, wurden andere umso stärker. „Einige drängten, ich muss das machen“, erzählt er. „Das ist, als ob man den Hals zu hat.“ Schließlich gab er nach und die Nominierung auf der CSU-Vorstandssitzung rückte immer näher.
Die Vorstandssitzung fand ohne Josef P. statt. Er hatte abgesagt. Aus Angst um sich und seine Familie. Denn wenige Wochen nach den Anschlägen in den USA erhielt er zwei Briefe, in denen er mit Anschlägen auf Hab und Gut, auf seine Frau und seinen Sohn bedroht wurde, sollte er für die CSU antreten. Der Absender lautete „Bin Laden Tschotschmauntn“ – „Tschotschmauntn“ ist die bayrische Version von „Georgemountain“, der englischen Übersetzung von Georgenberg. Einen Tag später krachte es: Josef P. zeigte bei der Polizei an, dass ihm ein vermummter Motorradfahrer auf dem Weg zur Arbeit die hintere rechte Scheibe seines Autos eingeschlagen habe. Die Mittelbayerische Zeitung schrieb: „Der 46-jährige Georgenberger kommt als CSU-Kandidat bei der bevorstehenden Bürgermeisterwahl in Betracht. Wohl deswegen wurde er Ziel eines Anschlages.“ Josef P. zog seine Kandidatur zurück.
Das Geständnis
Bald kursierten Gerüchte in der Gemeinde. Steckten hinter den Drohbriefen und dem Anschlag politische Motive? Bürgermeister Alfred Schriml mit seinen Freien Wählern? Wer, wenn nicht der politische Gegner, könnte ein Interesse daran haben, den CSU-Hoffnungsträger einzuschüchtern? Die Antwort lieferte Josef P. selbst. In der Mittelbayerischen Zeitung verfasste er Anfang Januar zusammen mit einem Redakteur einen Artikel, in dem er über sich selbst schrieb: „Der bei der CSU als Bürgermeister-Kandidat im Gespräch gewesene Mann hat … zugegeben, die Scheibe selbst demoliert zu haben, um einen triftigen Grund für seinen endgültigen Rückzug als Bewerber für das Bürgermeisteramt zu haben.“ In dem Artikel erwähnte er auch, dass Teile der CSU ihn zur Kandidatur gedrängt hätten.
Bürgermeister Schriml freute sich. Die Konkurrenz stand ohne Kandidat da und auf seinen Freien Wählern lastete kein Verdacht mehr. Josef P. erhielt wegen Vortäuschung einer Straftat einen Strafbefehl in Höhe von 1.800 Euro.
Nachdem die Bestrafung in der Zeitung gestanden hatte, nahm sich Josef P. einige Tage frei. „Ich musste das verarbeiten, wir leben hier im ländlichen Bereich“, sagt er zögerlich, und als wolle er sich selbst Mut machen, fügt er hinzu: „Ich bin ja kein Kinderschänder und habe auch kein Verbrechen begangen.“ Er spricht von einer „Kurzschlusshandlung“. Die Parteifreunde hätten ihn unter Druck gesetzt. Mit den erfundenen Anschlägen habe er erreichen wollen, was er mit Worten und Argumenten nicht konnte. „Ich wollte meine Ruhe haben.“ Inzwischen sei ihm klar: „Ich habe mich dämlich verhalten. Das darf einem 46-Jährigen nicht passieren.“
Bei den Fragen, die sich nach seiner gescheiterten Kandidatur stellen, rudert er mit den Armen, als könne er in der Luft seines Büros Antworten finden. Sein Verhältnis zu Alfred Schriml? „Man rauft sich zusammen.“ Die „unterschiedlichen Auffassungen bei Sachfragen“, über die Schriml klagt? „Es wäre schlimm, wenn es keine unterschiedlichen Meinungen gäbe.“ Unbehagen, vielleicht weitere sechs Jahre unter Schriml arbeiten zu müssen? „Es ist mir wirklich egal, wer die Wahl gewinnt. Ich werde mich loyal zum amtierenden Bürgermeister verhalten.“
Der Ortsvorsitzende der CSU von Georgenberg ist Siegfried Hunsperger. Ihm gehört das Elektrogeschäft direkt neben dem Rathaus. Hunsperger sagt: „Er ist nicht mehr wie alle anderen unter Druck gesetzt worden.“ In fünf Gesprächen habe Josef P. nie gesagt, er mache es nicht. Aber auch der Ortsvorsitzende weiß, dass Josef P. jemand ist, der nicht nein sagen kann. „Auf der Arbeit genau so. Wenn es heißt, Sepp, mach mal, dann macht er.“ Der CSU-Vorsitzende selbst wollte nicht kandidieren, weil er mit dem Elektrogeschäft zu viel zu tun hat. Im Nachhinein ist Hunsperger froh, „dass es der Josef nicht geworden ist“. Groll hegt er nicht gegen Josef P. Enttäuscht ist er schon. „Man hat ja einiges an Zeit investiert.“
Neuer Kandidat für die CSU ist Christian Maurer. Der 48-Jährige führt im 100 Einwohner zählenden Ortsteil Neuenhammer das Gasthaus „Hammerwirt“ samt Metzgerei. Eine Tafel vor der Tür wirbt für Blut- und Leberwurst. Der „Hammerwirt“ gehört der Familie Maurer schon in der dritten Generation. In Verwaltungs- und Behördenfragen hat der Metzger zwar keine Erfahrungen. Aber der CSU-Ortsverband kann im Wahlkampf seine Kontakte zum Wasserwirtschafts- und Bauernverband und zum Landratsamt herausstellen. Nach dem Rückzug von Josef P. wurde jeder in der Vorstandsschaft gefragt, auch der ruhige Metzgermeister. „Ich hatte gehofft, es macht ein anderer.“ Wie er etwas verlegen über seine Fleischerjacke streicht, ist zu spüren, dass er lieber an der Schlachtbank und an der Fleischtheke als im Mittelpunkt des Gemeindelebens steht. Zudem, gibt er zu bedenken, könne ein falsches Wort in der Politik vier bis fünf Kunden kosten und am Ende komme noch die Familie zu kurz. Zwei Wochen lang hat der Mann mit dem Vollbart das Für und Wider einer Kandidatur abgewogen. Seine Frau und die beiden Töchter waren gegen die Kandidatur, die drei Söhne, „gute Freunde“ und eine Reihe von Kunden dafür. Schließlich hat er zugesagt. „Es reizt mich, was zu schaffen und zu bewegen.“
Das reizt auch Alfred Schriml. In allen Ortsteilen der Gemeinde hat er, wie schon vor sechs Jahren, Wahlversammlungen geplant. Am 3. März wird gewählt und dann wir sich entweder der Feuerlöschtechniker erneut auf seinem Thron niederlassen. Oder der Metzgermeister Maurer wird ins Rathaus einziehen. In jedem Fall wird Josef P. die Verwaltungsarbeit machen – und für den Kaffee sorgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen