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Die Puppen grollen

Heidi vor dem Kitsch retten, das ist eine der leichtesten Übungen für das Theaterfestival „Neuropolis“ in der Studiobühne Mitte der Humboldt-Uni. Mit Marguerite Duras, Samuel Beckett, Ivan Goll bewerben sie sich um Auftritte am Maxim Gorki Theater

    

von JANINE LUDWIG

Was ist eigentlich Studententheater? Laien, unterbeschäftigte Profis und viel Improvisation, sagt das böse Klischee. Die Wirklichkeit ist komplizierter. So kompliziert, dass eine Mitarbeiterin des Festivals „Neuropolis“ gesteht: „Ehrlich, wir wissen es auch nicht mehr. Wenn man so viele Stücke gesehen hat, verschwimmen die Kriterien.“ Bei den meisten Produktionen, die „Neuropolis“ eingeladen hat, mischen inzwischen Profikräfte mit, und Auftritte in Off-Theatern zeigen, wie fließend der Übergang zur freien Szene ist.

Der Generalverdacht gegen studentisches Theater jedenfalls – die könnten nicht spielen – erwies sich als unbegründet. Kritik lässt sich höchstens an der Regie üben, wenn sie sich etwa wie in „Krankheit der Jugend“, geschrieben in der Zeit des Expressionismus, nicht zwischen naturalistischem und stilisiertem Spiel entscheiden mag. Seltsam schwer hat es sich das Thalatta-Theater mit diesem düsteren Stück über die Machtspiele verstörter Jugendlicher gemacht.

Da kommt „Heidi, das Original“ als Puppenschauspiel ungleich leichtfüßiger daher. Zumal wenn lustvoll alle möglichen Darbietungsvarianten von Katastrophenreportage bis Interview ausgereizt werden, wenn die Puppen ihrem Spieler grollen oder sich gegen ihren Abgang wehren. Dabei gehen die Studenten, die Puppenspiel an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch studieren, nie abfällig mit dem Mythos Heidi um, denn „wir nehmen das ,Original‘, die nicht ganz so heile Welt von Johanna Spyri, ernst“.

Als konsequente Inszenierung fiel „La Musica Zwei“ von Theaterwissenschaftlern der Freien Universität (FU) auf. Literarisch umgesetzt, ganz auf den Text von Marguerite Duras und die Präsenz der beiden Darsteller vertrauend, wird eine lange vergangene Liebesgeschichte wieder aufgerollt. All die quälenden Fragen nach dem Wie und Warum müssen noch gestellt, all die kleinen Lügen noch verbreitet und ein paar Wahrheiten zugegeben werden.

Schon diese Stücke an den ersten drei Abenden des neuntägigen Festivals spiegeln das Ziel der „Neuropolis“-Macher von der Humboldt-Universität (HU) wider, „einen Überblick über studentisches Theater in seiner ganzen Vielfalt zu geben“. Gleichzeitig achten sie darauf, dass alle Berliner Hochschulen mit einer Aufführung vertreten sind. Hilfreich war die Ausschreibung eines Wettbewerbs, der höhere Qualität brachte. Die Gewinner können im Studio des Maxim Gorki Theaters auftreten, das die Schirmherrschaft für „Neuropolis“ trägt.

Schließlich wollen die Veranstalter unbedingt die verstreuten Gruppen aus ihren Nischen holen und einen Austausch anregen. Notwendig und sinnvoll ist das, weil die starken Bindungen an die jeweilige Universität ein gemeinsames Selbstverständnis bisher erschweren. Zudem haben „normale“ und Schauspielstudenten schon immer etwas gefremdelt. Erschwerend kommt da noch der Konkurrenzkampf zwischen HU und FU ums theaterwissenschaftliche Überleben hinzu – fast wie im Leben der Stadttheater –, den die HU verlor. Ihr Institut wird geschlossen. „Das alles kann man nicht einfach so mit ein paar Workshops wegsprengen“, weiß eine Beteiligte, das brauche Geduld.

Nun, Geduld haben die Macher sich in vier Jahren „Neuropolis“ reichlich bewiesen. Hatten sie doch mit allerlei Unbill, vom gestrengen Hausmeister über anzeigende Anwohner bis zu mangelnder Unterstützung aus dem eigenen Institut, zu kämpfen. Bald stellt die Schließung des Instituts die Frage nach dem grundsätzlichen Überleben des Festivals.

Darauf werden die zehn ehrenamtlichen VeranstalterInnen Antworten suchen. Schließlich gibt „Neuropolis“ ihnen die einmalige Gelegenheit, verschiedene Bereiche von Sponsorenakquise bis Technik auszuprobieren und selbstständig zu arbeiten, „nicht wie bei einem Praktikum, wo man oft nur der Handlanger ist“, so eine von ihnen.

Aber manchmal hilft nur Einfallsreichtum weiter: Als am Eröffnungsabend die Band ausfiel, bat man den zufällig in der Nachbarstraße spielenden Leierkastenmann ins Foyer. Der passte perfekt in die Atmosphäre zwischen Umsonst-Chili und Alle-helfen-beim-Bühneabbauen. Vielleicht liegt diese Atmosphäre ja näher am Kern von „studentischem Theater“, als die öffentliche Generaldebatte am Samstag wird definieren können. Vielleicht ist gar am ehesten studentisch die Abschlussparty, die tatsächlich Austausch bringen wird. Da wird es dann auch niemandem was ausmachen, dass die Sieger am 15. und 16. Februar im Gorki-Studio auftreten. Obwohl das ja eigentlich schon zu professionell ist.

Heute abend „Perla Marina“ von Abilio Estévez und morgen „Wolokolamsker Chaussee III–V“ von Heiner Müller, jeweils 19.30 Uhr in der Studiobühne Mitte, Sophienstraße 22 a. Karten unter ☎ 20 93 82 45. Generaldebatte undPreisverleihung dort am Samstag, 18 Uhr, anschließend Party im „K.“,Monbijoustraße 3, Mitte

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