: Post aus Kabul
Vor genau einem Jahr erhielt Die Wahrheit eine E-Mail von Ussama Bin Laden
Es ist das größte Geheimnis unserer Zeit: Alle Welt versucht den Aufenthaltsort des flüchtigen Ussama Bin Laden herauszufinden. Zwar wissen auch wir nicht, wo der „Terrorchef“ (Bild) steckt. Ein Geheimnis jedoch wollen wir an dieser Stelle erstmals verraten. Noch bevor Ussama Bin Laden am 11. September 2001 schlagartig in den Mittelpunkt des Medieninteresses rückte, hatte die Wahrheit Kontakt mit dem „meist gehassten Mann der Welt“ (Madame Tussaud’s). Genau vor einem Jahr, am 16. Februar 2001, sandte Ussama Bin Laden eine E-Mail an die Wahrheit. Inhalt: nur ein Satz. Der jedoch besagt, dass das taz-Gebäude in der Berliner Kochstraße noch vor dem World Trade Center im Visier des Bösen war.
Rückblende: Am 14. Februar 2001 erschien auf der Wahrheit eine Glosse über Mullahs, die nach einem verheerenden Erdbeben in Indien den Gläubigen befahlen, ihre Fernsehgeräte aus dem Fenster zu werfen. Das Fernsehprogramm sei so schlecht gewesen, dass Allah gezürnt und das Erdbeben als Strafe geschickt habe. Die Wahrheit lobte die Mullahs für ihre Vernunft und zitierte wohlgefällig den alten Kindervers „Allah ist groß, Allah ist mächtig, er hat einen Arsch von drei Meter sechzig.“
Groß war daraufhin die Aufregung vor allem unter Muslimen, die die Wahrheit der Gotteslästerung beschuldigten, bei der Staatsanwaltschaft anzeigten und eifrig mit Post bombardierten. Tausende von Briefen, Faxen, Mails und sogar Unterschriftenlisten erreichten die Redaktion aus aller Welt. Viele Briefe waren von anonymen Absendern: „Ihr verfickten Arschlöcher. Habt ihr denn nichts anderes zu tun als euch gegenseitig in den Arsch zu ficken?“, fragte nonchalant ein gewisser „Nobody“. Und ein anderer namenloser Schreiber freute sich: „Ihr seid das dreckigste Geschöpf auf der Erde.“ So weit, so gut und schön und allgemein bekannt. Doch am 16. Februar 2001 um 15.54 Uhr war dann nichts mehr so, wie es einmal war. Die E-Mail von Ussama Bin Laden traf ein. Die wir erst kürzlich beim Sichten der unkontrollierten Leserbriefflut entdeckten – wir hatten damals die Bin-Laden-Mail einfach übersehen.
Leider ließ sich jetzt die Adresskennung trotz intensiver Bemühungen der taz-Technik nicht mehr auf ihren Ursprung zurückführen. Aber wozu auch? Wo Bin Laden draufsteht, steckt auch Bin Laden drin. Die Wahrheit-Redakteure sind ohnehin überzeugt, dass Inhalt und Stil des Briefes einer intensiven al-Qaida-Schulung entstammen. Schließlich ist längst bekannt, dass das Terrornetzwerk seine Krakententakel vor allem per Internet um die Welt legt. Nach dem 11. September hatten so genannte Terrorexperten dem verblüfften Publikum erklärt, dass sich selbst in vermeintlich harmlosen Fotos, die den Terror-E-Mails beigefügt waren, dunkle Geheimbotschaften verbargen. Ganz so aufwendig trieb es Bin Laden im Schriftverkehr mit der Wahrheit nicht, reichte ihm doch lediglich ein schlichter Satz.
Was aber sollten wir tun? Zurückschreiben und uns bedanken? Bin Laden bei der Polizei anzeigen? Das Schreiben an den arabischen Fernsehsender al-Dschasira verkaufen, der ja fast jede Stellungnahme des Terrorführers sofort ausstrahlt? Würde die Wahrheit dann nicht der Bundesregierung einen weiteren Grund liefern, den Krieg auf die „Achse des Bösen“ auszuweiten? Sollten wir also tatsächlich unser Geheimnis verraten?
Eins allerdings ist spätestens nach dem 11. September sicher: Es war knapp, sehr knapp. Beinah wären wir in die Luft gesprungen. Denn um 15.54 Uhr am 16. Februar 2001 schrieb Ussama Bin Laden wortwörtlich an die Wahrheit: „TAZ WIRD IN DIE LUFT SPRINGEN; VERSPROCHEN.“ MICHAEL RINGEL
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