: Klima: Augen zu und durch
Der Chef der EU-Umweltbehörde EEA erhebt Vorwürfe gegen die EU-Kommission: Sie unterdrücke Daten und ignoriere das Scheitern ihrer Klimapolitik. Beschlüsse von EU-Gipfeln missachtet
aus Stockholm REINHARD WOLFF
Die EU-Kommission verschweigt unbequeme Fakten über die Umweltpolitik in der Europäischen Union. Diese Kritik äußert nicht irgendwer, sondern Domingo Jiménez-Beltrán, der Chef des EU-Umweltbüros EEA (European Environment Agency) in Kopenhagen. Nach seinen Angaben sollen beim EU-Gipfel in Barcelona im kommenden Monat die Probleme bei der EU-Klimapolitik offenbar unter den Teppich gekehrt werden. Der Grund: Anders als geplant geht der Ausstoß von Kohlendioxid in Europa nicht zurück, sondern steigt an.
In einem Interview mit der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter äußert Jiménez-Beltrán deutlich seine Frustration, weil die von seiner Behörde erarbeiteten Zahlen nicht im Statusrapport über wirtschaftliche und soziale Fragen auftauchen, der in Barcelona vorgelegt wird: „Ich konnte mir nie vorstellen, einmal auf diesem Gebiet auf Kollissionskurs mit der Kommission zu geraten.“ Der Statusrapport war erstmals auf dem EU-Gipfel In Stockholm im Frühjahr 2001 vorgelegt worden. In Barcelona sollte er in einer aktualisierten und um den Aspekt Umwelt erweiterten Fassung präsentiert werden. Das war zumindest beim EU-Gipfel in Göteborg im Juni letzten Jahres beschlossen worden, auf dem eine neue Strategie für eine langfristige und ressourcenschonende Entwicklung im wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereich verabschiedet worden war.
Doch in Barcelona wird der Sektor Umwelt erneut fehlen. „Die Kommission behauptet, die Zeit sei noch nicht reif dafür“, beklagt Jiménez-Beltrán: „Wie bisher werden Fragen der Wirtschaftsentwicklung und des Arbeitsmarkts mit Priorität behandelt und deren ökologische Wirkungen einfach außen vor gelassen.“ Das aber sei falsch, so der EEA-Chef. Denn jeder weitere Schritt beispielsweise bei der Liberalisierung der Wirtschaft habe auch Auswirkungen auf die Umwelt. Jiménez-Beltrán nimmt als ein Beispiel die Transportpolitik: „Das Ziel der EU ist ja, dass die Transporte weniger steigen als das Wirtschaftswachstum. Ein Ziel, das bislang weit verfehlt wurde und damit zu einem Ansteigen von Klimagasen führt, die dieser Sektor produziert.“
Solche Informationen dürften nicht einfach unterschlagen werden, wirft Jiménez-Beltrán der Kommission vor. Er sieht diese unter Druck vor allem südeuropäischer EU-Mitgliedsländer. Dort steigen Energieverbrauch und CO2-Ausstoß ungebremst weiter. Auf eine Zusammenschau von Umwelt, Wirtschaft und Sozialsystem einfach zu verzichten, weil das für viele Regierungen unbequem sei, löse das Problem aber nicht, so Jiménez-Beltrán: „Erwartet man sich ein Wunder?“ Das aber brauche man tatsächlich, wolle die EU die in Kioto übernommenen Ziele erreichen.
Dass die EU-Kommission plant, sich in Barcelona auf den relativ optimistischen, aber veralteten Zahlen und Berechnungen auszuruhen, die sie bereits im Herbst letzten Jahres veröffentlicht habe – man könne die Kioto-Ziele bis 2010 ohne größere neue Anstrengungen erreichen –, hält Jiménez-Beltrán für gefährliche Augenwischerei: „Es bedarf sogar recht unbequemer Veränderungen.“ Da die Kommission die EEA-Zahlen nicht veröffentlichen will, sie offiziell damit auch keine Beratungsgrundlage werden, hat Jiménez-Beltrán vor, Vorausinformationen über den in Kopenhagen gerade in Arbeit befindlichen neuen jährlichen „Enviromental Signals“-Rapport von sich aus zu präsentieren: „Wer sich dafür interessiert, kann sich dann informieren. Und ich bin überzeugt, dass dann klar wird, warum mit der bisherigen Linie die Klimaziele nicht eingehalten werden können.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen