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Das Risikofaktotum

Selbst ist der Songwriter: Nach einem Intermezzo bei der Musikindustrie vertraut Stoppok, der letzte Deutschrocker mit Humor, lieber wieder ganz auf die eigenen Fähigkeiten – Mut zu Fehlern inklusive

Kein Konzern würde ein so schlimmes Cover wie das seiner neuen CD zulassen

von CHRISTIAN BECK

„Das schaff ich gerade noch selbst!“ Schnurgeradeaus ist sein von Folklore aller Art wärmstens unterfütterter Singer/Songwriter-Rock. Und so schnurgeradeaus führte auch Stefan Stoppoks Reise in die künstlerische Unabhängigkeit. Wie es sich schon vor fünf Jahren beim ersten Interview abgezeichnet hatte, als er noch beim Musikkonzern Sony unter Vertrag war: Ob der nette Mitarbeiter der Plattenfirma ihn denn am Flughafen abgeholt habe? „Abgeholt?“ Na ja, wie Plattenkonzerne es mit den Sensibelchen, die bei ihnen unter Vertrag stehen, normalerweise eben so zu tun pflegen?! „Also hör mal! Ein Taxi zum Hotel?“ Schafft Stefan Stoppok gerade noch selbst!

Das gilt auch, beim stilsichersten und humorvollsten aller Deutschrocker von Rang, auch für: Platten einspielen, Platten produzieren, Platten verlegen, Platten vertreiben, und inzwischen sogar Platten layouten. Warum? Weil es beim Unplugged-Duo Stoppok plus Worthy vor zwei Jahren einfach gar nicht anders ging, wollte man das gemeinsame Album „Grundvergnügen“ zwischen Probenphase und Tour doch noch rechtzeitig gepresst und verpackt an die Stände bekommen. Weil sich die Profite, wenn auf dem Weg vom Instrument zum HiFi-Rack keine Plattenfirma mehr die Hand aufhält, zugunsten der Künstler vervielfachen. Und weil wahrscheinlich kein Konzern der Welt ein Cover-Artwork wie den Stoppok mit dem blauen Gesicht von „w.e.l.l.n.e.s.s.“, seinem neuen Album, zulassen würde.

Und weil die vermaledeite Industrie zu all ihrem bösen Spiel am Ende dann natürlich auch immer noch gute Miene haben will. Findet der Mann, der den Zwang zum Wohlfühlen diesmal sogar schon im Albumtitel durch den Kakao zieht: „Mach das Radio an oder irgendwie was, und alle Songs – also 99 Prozent der Songs, die heutzutage irgendwie zu hören sind –, heißen ‚Es ist alles super‘. Warum soll ich dann bitteschön auch noch mal 13 Songs machen, die auch alle heißen ‚Es ist alles super‘?“ Schon gar nicht angesichts Well-Nestbeschmutzer Stoppoks niederschmetternder Analyse: „Die Welt ist scheiße! Ich glaube, die Welt ist viel beschissener, wie ich das überhaupt singen kann!“

Sogar bei ihm auf dem Land in Oberbayern, wo er vor einigen Jahren hinzog, um seinem Sohn aus einer früheren Verbindung nahe zu sein und sich grundsätzlich sehr wohl fühle. Und nur weil der gesunde Realismus, der Pro und Contra als die beiden Seiten der Wirklichkeit versteht und ertragen kann, in der heutigen Gute-Laune-Medienlandschaft nicht opportun sei, sei es noch lange nicht nötig, sein Fähnchen in den Wind zu hängen: „Ich hab noch nie aus opportunen Gründen Musik gemacht. Das ist ja das Schlimmste, was einem Künstler hier in dieser westlich-amerikanisch orientierten Welt nachgesagt wird: In dem Moment, wo er ein Album macht, meint schon jeder, das macht er aus opportunen Gründen.“

Nicht mit Stoppok! Seiner ersten Major-Firma BMG hat er, direkt nach seinem größten Erfolg mit „Happy End im La-la-land“, damals gegen deren erklärten Willen ein „Instrumentaal“-Album mit den Stücken „Eins“, „Zwei“, „Drei“ und so weiter reingedrückt. Und als zentrales Stück auf „w.e.l.l.n.e.s.s.“ hat sich bei den Sessions von August bis Oktober vergangenen Jahres – im eigenen Studio – „Gladiatoren“ herauskristallisiert: „Wir sind die Sieger wir sind Gladiator’n / Niemals verlier’n haben wir uns geschwor’n / Alles was uns mal im Wege stand / Ob ein alter Krüppel oder ein ganzes Land / Haben wir einfach beseitigt dass es uns nicht mehr stört / Alles was wir tun ist nie verkehrt.“

Der Song vom alles plattmachenden Moloch handelt, Stoppoks eigenem Empfinden nach, von Amerika. Aber: Natürlich fühlt sich auch Stoppok selbst durch und durch als Amerikaner. „Wir sind doch ein amerikanischer Vorort“, meint er schließlich, allgemein auf Europa bezogen wie auch auf sich selbst als Musiker im Besonderen. Und er definiert sich auch selbst über haargenau das „Alles was wir tun ist nie verkehrt“, das eben noch dazu angetan war, mit dem Finger auf andere zu zeigen: „Wenn du Risiko eingehst, kommst du am direktesten an deine Gefühle. Ich bin immer Risiko eingegangen – ob bei Interviews, ob bei schon frühen Kontakten mit der Industrie oder mit den Medien, völlig unsouverän, unsicher in Situationen zu kommen, ohne Überlegung. Ich hab dadurch blöd auf der Bühne gestanden, hab komische Alben abgeliefert, alles. Ich hab mich das alles einfach getraut.“

Je mehr Risiko man eingehe, desto authentischer werde man, meint er. Und er spüre deutlich, dass die Marke „Stoppok“ für sein Publikum für etwas Besonderes stehe: Eine Haltung, die nicht zu allem „Ja und Amen“ sage. Eine Haltung, die bei den No Angels dieser Welt, welche auch seine Kinder natürlich mal hören, logischerweise komplett fehle; schade nur, dass er damit so einsam in der Landschaft stehe. Andererseits sei das aber auch gerade befriedigend: Der Plattenindustrie getrotzt zu haben, als Mensch wie als Musiker etwas erreicht zu haben, was bestimmt nicht allen gelingt.

Dafür nimmt Stoppok auch gerne in Kauf, dass ihm bei seinem Layout wieder verschiedene Druck-, Rechtschreib- und sonstige Fehler unterlaufen sind. Dafür akzeptiert er, dass er nun, wo er sämtliche Zügel selbst in der Hand hält, natürlich auch keinen mehr hat, den er für diese Lapsi anscheißen kann. Dafür stampft er 20.000 CD-Inlays eben auf eigene Kosten wieder ein. Nicht nur Songs in der großen anglo-amerikanischen Rock- und FolkTradition zu schreiben, einzuspielen, zu pressen und zu verhökern – auch sein sauer verdientes Geld dafür mit vollen Händen zum Fenster rauszuschmeißen schafft Stefan Stoppok gerade noch selbst.

Stoppok, „w.e.l.l.n.e.s.s.“: im Handel oder unter www.stoppok.de. Tour: 1.3. Hannover, 2.3. Bielefeld, 3.3. Münster, 4.3. Oberhausen, 5.3. Oldenburg, 6.3. Bremen, 7.3. Hamburg, 8.3. Bad Salzungen, 9.3. Freiburg, 10.3. München, 11.3. Frankfurt, 12.3. Stuttgart, 13.3. Nürnberg, 14.3. Leipzig, 15.3. Berlin, 16.3. Erfurt, 17.3. Krefeld, 18.3. Bochum, 19.3. Köln, 20.3. Wuppertal

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