piwik no script img

Energiestäbchen, ganzheitlich

■ Stoppok verwöhnte die Fans im Schlachthof mit Wohlfühlmucke

Die neue Platte heißt „w.e.l.l.n.e.s.s.“. Was die Punkte dazwischen sollen, weiß wohl nur Stoppok, vielleicht ist das eine Abkürzung für irgendeinen abstrusen Satz, auf den man auch nach zehn Bier und zehn Stunden Nachdenken nicht kommt. Mein Vorschlag: „Weil Esoterik lügt, lancieren Nichtesoteriker eine solche Scheibe“. Obwohl ja nicht alle EsoterikerInnen lügen. Wellness-Werner und Pommes-Erwin, um die es im Titelstück geht, aber schon. Denn die verhökern einen Restposten modifizierte Heizdecken als „aurareinigend“ und „erdstrahlungsabweisend“ und Pommes als „Energiestäbchen“. Stoppok weiß aber durchaus zu differenzieren: „Eine schöne Geschichte über eine feine Geschäftsidee und gleichzeitig unsere Meinung über die ganze Pseudoesoterik-Szene, die die Leute mit irgendeiner falschen Energiekacke verarscht. Ich glaub ja an so Sachen, deshalb geht mir das besonders auf den Keks, wenn da Schindluder mit getrieben wird.“ „Wellness“ ist ein Schunkelsong mit atemberaubenden und hirnverrenkenden Aufzählungsteilen, die die bisherige Geschichte des Liedes zusammenfassen, so hirnverrenkend, dass Stoppok den Text teilweise ablesen musste.

Ansonsten kam er aber nie in Verlegenheit. Die Band – bestehend aus Mario Schulz (git, voc), Danny Dziuk (keyb, voc), Reggy Worthy (bass, voc) und dem neuen Drummer Thorsten „Walt“ Bender – ist so gut aufeinander eingespielt und haut die knackigen, bluesrockigen Arrangements so punktgenau raus, dass es eine Freude ist. Multiinstrumentalist Stoppok bearbeitet dazu mit einer frappierenden Geschmeidigkeit und Lockerheit verschiedene Klampfen und ein Banjo und spielt mit verschmitztem Lächeln Soli, die den meisten Metalgitarristen nur mit verkniffener Miene gelingen würden. Insgesamt hat man den Eindruck, dass die Titel auf „w.e.l.l.n.e.s.s.“ musikalisch noch eine Ecke knackiger und gleichzeitig ausgeklügelter sind als frühere Veröffentlichungen. Das Stück „Hauptsache gesund“ zum Beispiel, das als Opener fungierte, hat eine Mörder-Basslinie, die direkt von den Ohren in die Eier bzw. Eierstöcke geht, ganz im Sinne des „ganzheitlichen“ Konzepts der Platte, das sowohl den Intellekt als auch den Körper berücksichtigt (bei Stoppok heißt das dann: „Macht obenrum und untenrum locker“).

Zur wahren Ganzheitlichkeit braucht es natürlich noch Titel, die vor allem die emotionale Ebene verwöhnen. Dazu gehören das herzerwärmende „Ein Wort“ und „Viel zu schön“. Und natürlich durften auch Klassiker wie „Ärger“, „Twentours und Seniorenpass“, „Dumpfbacke“ und „Mein Freund der Kühlschrank“ nicht fehlen, die teilweise in „Potpourris“ (Medleys) á fünf Stücke zusammengefasst wurden, weil es mittlerweile einfach zu viele dieser Klassiker gibt. Ein wahrhaft zentaurischer Abend, der Körper, Emotionen und Geist streichelte und einen mit dem beruhigenden Gefühl entließ, dass Deutschland vielleicht doch noch zu retten ist: „Wir im La-La-Land haben beschlossen, dem deutschen Radio doch noch eine Chance zu geben, und werden das Stück „Tanz“ als Single auskoppeln. Wenn das Stück Einzug in das Radioprogramm hält, hätten wir auch noch reelle Chancen, uns Stoiber vom Hals zu halten! Man muß nur wirklich dran glauben!“ Tim Ingold

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen