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„Keine Übersetzung ohne Verluste“

Erklärt man zu wenig, wird das Fremde exotisch, erklärt man zu viel, hat der Text keine Atmosphäre mehr: Ein Gespräch mit Ursula Gräfe, die den japanischen Autor Haruki Murakami ins Deutsche übersetzt und dabei ihren eigenen Mustern misstraut

Interview SUSANNE MESSMER

taz: Frau Gräfe, Sie haben bisher Bücher japanischer Nachkriegsautoren übersetzt, aber auch Haruki Murakami, der zur ersten Schriftstellergeneration Japans gehört, die mit der westlichen Popkultur aufgewachsen ist. Ist es einfacher, einen Autor wie Murakami zu übersetzen, als einen wie Kenzaburo Oe?

Ursula Gräfe: Was die westlichen Requisiten in Murakamis Büchern angeht, ist es eher schwierig, Vertrautes zu übersetzen, dem eigenen ersten Verständnis immer wieder zu misstrauen. Nehmen Sie zum Beispiel den Song der Beatles, der im Roman „Naokos Lächeln“ eine tragende Rolle spielt. Über den Umweg der japanischen Wahrnehmung, also einen fremden Kulturkreis, ist „Norwegian Wood“ wieder zurückgekommen. Man läuft Gefahr, mit dem Song eigene Erinnerungen zu verknüpfen, ohne darüber nachzudenken, was man in Japan mit ihm verbinden könnte. Bei älteren Autoren hat man zum Beispiel oft das Problem, dass etwas Westliches in Japan als schick gilt, das wir gar nicht so empfinden.

Bei der Übersetzung eines Buchs von Kenzaburo Oe, der ja ein sehr ernst zu nehmender Autor ist, ist mir das einmal so gegangen. Es ging um eine beinahe verherrlichende Darstellung der „Unendlichen Geschichte“ von Michael Ende, die er als literarisches Werk sehr ernst nimmt. Auch wenn er dafür sicher Gründe hatte, war ich sehr versucht, das etwas abzumildern, habe es mir dann aber doch verkniffen.

Murakami hat einmal gesagt, er habe überlegt, seine Bücher auf Amerikanisch zu schreiben. Außerdem übersetzt er amerikanische Literatur – Chandler, Carver, F. Scott Fitzgerald – ins Japanische. Glauben Sie, dass dies und die angesprochenen Schwierigkeiten der Übersetzung westlicher Popkultur, wie sie in Japan rezipiert wird, für den Dumont Verlag ein Grund gewesen sein könnte, die ersten Bücher, die dort von Murakami erschienen sind, aus der amerikanischen Übersetzung übertragen zu lassen?

Ich denke, dass es eher praktische Erwägungen waren. Für einen solchen Umweg kann es keinen vernünftigen Grund geben. Schließlich hat er auf Japanisch geschrieben und nicht auf Amerikanisch. Selbstverständlich sollte, wenn irgend möglich, immer aus der Originalsprache übersetzt werden. Eigentlich gibt es auch genug Übersetzer, die die verhältnismäßig kleine Zahl der in Deutsche zu übersetzenden japanischen Literatur bewältigen können.

Können Sie bestätigen, dass die Stellen, derentwegen es zum Streit im Literarischen Quartett kam, weniger Aufsehen erregt hätten, wären sie direkt aus dem Japanischen übersetzt worden?

Ich finde, die Diskrepanz zwischen der amerikanischen und der japanischen Sprache ist groß. Es gibt einige Übersetzungen, die mit dem Ursprungstext sehr arrogant umgehen. Die betont internationale Ausstattung vieler japanischer Romane, die vertraute Kulisse der modernen Industriegesellschaft, verführt wahrscheinlich dazu, allzu schnell eigene Muster zu reproduzieren. Die saloppe Diktion in Amerika trifft nicht die in Japan benutzte familiäre, aber doch förmliche Redeweise. In Frankreich oder Deutschland hat man bessere Chancen, diesen Ton zu treffen. Wenn der Umgangston, der im Amerikanischen noch nett, locker und vielleicht sogar noch ein bisschen verbindlich klingt, ins Deutsche übertragen wird, bekommt er fatalerweise noch einen kleinen Schubs ins Vulgäre.

Und wie lautete nun diese im Literarischen Quartett umstrittene Stelle aus „Gefährliche Geliebte“ im Original, die aus dem Amerikanischen in „Vögeln bis zum Hirnerweichen“ übersetzt wurde?

Ich weiß es nicht mehr genau, auf jeden Fall klang es eher wie „Sex bis zur Besinnungslosigkeit“, also weit weniger originell. Das Wichtigste hierbei ist jedoch, dass die Übersetzung ein falsches sprachliches Register zieht und damit nicht nur den Charakter des Helden missinterpretiert, sondern die gesamte Atmosphäre des Romans. Die deutschen Übersetzer haben ihren Auftrag trotzdem gut erfüllt. Es lag eben an der amerikanischen Übersetzung.

In „Naokos Lächeln“ gab es beispielsweise eine Stelle, die ich mit einer der beiden amerikanischen Übersetzungen verglichen habe. Im japanischen Original ist von einer Frau die Rede, die es mochte, am Rücken gestreichelt zu werden. In der amerikanischen Übersetzung wurde daraus: „I like a slick finger job from behind.“ Das geht doch nicht, oder? Schließlich tragen Übersetzer auch den Autoren gegenüber eine Verantwortung.

Wie halten Sie es mit Übersetzungstheorien?

Ich zitiere gern die Brüder Grimm, um meine eigene Philosophie zu beschreiben. Die haben mal gesagt, übersetzen ist wie über-setzen, also an ein anderes Ufer gelangen. Man transportiert nicht nur etwas anderes in den eigenen, sondern auch sich und seine Sprache in den anderen Raum. Das erfordert nicht nur eine sehr gute Kenntnis der fremden Sprache, sondern auch auf eigener, lebendiger Anschauung basierendes Wissen, um sich angemessen bewegen zu können. Für Übersetzer unerlässlich ist also das konkrete Über-setzen, das Reisen und der Austausch mit den Muttersprachlern.

Wenn Sie sich entscheiden müssten: Würden Sie eher die romantische Übersetzungstheorie wählen, die daran zweifelt, dass Übersetzen überhaupt möglich ist, weil sich der Sinn erst über die Syntax, den Stil und den Tonfall herstellt? Oder würden Sie sich eher der rationalistischen Schule anschließen, die glaubt, dass grundsätzlich jede Sprache ohne Verluste in eine andere übertragen werden kann, weil sich das „Wie“ eines Textes nur von seiner Bedeutung ableitet?

Ohne Reibungsverluste keine Übersetzung. Japanische Texte geben dem Übersetzer sehr viel Spielraum. Das Japanische ist eine suggestive, anspielungsreiche Sprache mit vielen verknappten Bildern und kompliziertem Effekt. Es kommt weniger auf das Syntaktische an als darauf, die assoziativen Ketten, das Stimmungsfeld, das der Autor erzeugt, zu erspüren.

Haruki Murakamis Stil ist sehr unauffällig, klar, manchmal sogar wortarm. Murakami arbeitet gern mit alltäglichen Bildern wie Essenmachen, Rauchen und kleinen Gesten wie Herumspielen an der Haarspange. Die Schwierigkeit liegt darin, seinen „stilarmen“ Stil zu transzendieren und eine ähnliche, authentische Atmosphäre neu zu erzeugen.

Also ist Murakamis Stil schwerer zu übersetzen als seine Inhalte?

Das kann man so nicht sagen. Murakamis Erzählstrukturen sind amerikanisch beeinflusst wie seine Requisiten. Wie er mit dem Aufbau von Spannung arbeitet, das kommt einem manchmal vor wie aus dem Creative-Writing-Kurs. Aber seine Inhalte sind japanisch, auch wenn man das auf den ersten Blick oft nicht meint. Ganz typisch für die japanische Literatur ist Murakamis sensationelles Vorgehen, die Alltagswelt, langsam verstreichende Augenblicke wie einen Sonntagnachmittag im Sommer in fantastische, surreale, Gegenwelten und Innenwelten zu überdehnen. Diese grotesken Welten werden anders als in westlichen Romanen nie aufgelöst oder integriert.

Der Held klinkt sich in den Büchern von Haruki Murakami aus den gesellschaftlichen Funktionsmechanismen aus und findet auch am Ende nicht zurück. Das Vakuum, in dem er sich befindet, wird nicht gefüllt. Diese Außenseiterhelden, die es einfach nicht schaffen, muten sehr modern an. Sie sind aber in japanischen Romanen schon seit hundert Jahren ein gängiges Muster.

Wenn Sie zum Beispiel eine Alliteration hätten, für die es im Deutschen keine Entsprechung gibt, würden Sie dann eher den Wortsinn oder die Alliteration aufgeben?

Die Alliteration. Es gibt besonders in der japanischen Poesie eine Menge Schmuckwörter, die man nicht übersetzen kann, viele Codewörter, die übersetzt nicht mehr ausstrahlen, was sie für den japanischen Leser vermitteln. Oder auch Metaphern wie „er lächelt wie ein Rettich“, bei denen man nicht sicher ist: Liegt es am Japanischen oder ist es einfach nur eine literarische Metapher?

Eine lustige Schwierigkeit ist beispielsweise der überaus häufige Gebrauch von Lautmalerei. „Gowagowa“ heißt zum Beispiel „steif und rau“, „sarasara“ „geschmeidig glänzend“, „fuufuu“ „die Puste geht aus“, „gachagacha“ „der Schlüssel klappert“. Ich wurde schon einmal von einem Verleger gefragt, ob es in meiner Übersetzung wirklich immer so viel klappern und schmatzen und klickern muss.

Immer wieder kommen in Haruki Murakamis Büchern Ohren vor, die zum wichtigsten Körperteil der Angebeteten stilisiert werden. Oder auch Schafe, die in „Wilde Schafsjagd“ ebenso eine große Rolle spielen wie im soeben auf Deutsch erschienenen „Tanz mit dem Schafsmann“. Auch hier fragt man sich, ob Ohren oder beispielsweise Schafe in Japan eine ganz andere Bedeutung haben oder ob es sich einfach nur um Literatur handelt. Hatten Sie in einem solchen Fall einmal das Bedürfnis, mehr zu erklären?

Ihnen sind ja die Ohren und die Schafe aufgefallen. Also sind Sie der lebende Beweis, dass sich solche Dinge vermitteln, ohne sie zu erklären.

Sie mögen also auch keine Glossare?

Doch, ich bin ein großer Fan von Glossaren. Die stören ja auch nicht beim Lesen. Das Offenlassen fremder Begriffe ist eine Gratwanderung. Wenn man bei japanischer Literatur zu viele Dinge unerklärt lässt, kann das eine unerwünschte exotisierende Wirkung haben. Und das ist den Texten nicht angemessen. Diese Texte sind ja nicht per se exotisch, wir empfinden sie bloß so. Ich habe immer Furcht vor den Klischees – Japan, das schöngeistige Land des Lächelns und der Kirschblüte –, das sollte man unbedingt vermeiden.

Geht es Ihnen bei der Übersetzung eher um die Absicht des Autors oder um das Vergnügen des Lesers? Stehen Sie im Text zur Vorläufigkeit und Offenheit der Übersetzung oder täuschen Sie lieber Eleganz vor?

Prinzipiell kann man das nicht beantworten. Bei Murakami, finde ich, sollte der deutsche Leser ähnlich viel Spaß haben wie der japanische. Das deckt sich in dem Fall ja auch mit Murakamis Absicht. Für die Dichtkunst würde ich diese Frage anders beantworten und würde sagen, der Text sollte die Schwierigkeiten der Übersetzung, die ja allein schon durch die japanische Schrift entstehen, thematisieren und vielschichtig sein.

Wird der gesellschaftskritische Aspekt in Murakamis Büchern in Japan diskutiert?

Eigentlich kaum. In Japan gibt es ein großes Bedürfnis, negative Dinge auszublenden. Auch Murakamis Buch „Untergrundkrieg“ wird in Japan nicht viel gelesen. Darin kritisiert Murakami die japanische Gesellschaft, weil sie Menschen, die aus ihr aussteigen wollen, keine Schlupfwinkel bietet. Dadurch wenden sie sich Murakamis Meinung nach an Sekten wie Aum Shinrikyo.

Warum, denken Sie, wird Haruki Murakami sowohl in Japan als auch in Deutschland so gern gelesen?

Er trifft perfekt das Lebensgefühl vieler einsamer Großstädter hier wie dort, die nicht unbedingt unter dieser Einsamkeit leiden, aber auch nicht wirklich wissen, wohin mit sich. Dazu kommt, dass seine wenig dominanten Helden offenbar eine große weibliche Leserschaft ansprechen.

Haben Sie Haruki Murakami einmal kennen gelernt?

Leider noch nicht. Es heißt, er soll sehr scheu sein. Deshalb muss ich auf andere japanische Informanten zurückgreifen.

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