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Essays eines Stadtneurotikers

■ Sammlung humoristischer Geschichten: Der New Yorker Autor und Journalist David Rakoff liest morgen Abend im Abaton aus seinem Band „Gelogen“

„Es gibt keine Willkommensgrüße an den Wänden des Immigration and Naturalization Service, des Amts für Einwanderung und Einbürgerung in Manhattan.“ Mit diesem trockenen Satz beginnt David Rakoff seinen Essay „Außergewöhnlicher Ausländer“, einen von fünfzehn Texten, die der Band Fraud versammelt. Unter dem Titel Gelogen ist er nun auch auf Deutsch erschienen und wird morgen Abend im Abaton vorgestellt.

Suchte man für diesen Autor ein hiesiges Pendant, fiele einem als erstes der deutsch schreibende Russe Wladimir Kaminer ein. Der trug wie Rakoff die meisten seiner Texte mündlich vor, bevor er sie in einem Buch – Russendisko – zum Lesen freigab. Beide verfassen umwerfend humoristische Essays, allem Anschein nach stark inspiriert vom eigenen Alltag in der Großstadt: Was Berlin dem jüdischen Auswanderer aus Russland, ist dem jüdischen Kanadier Rakoff im US-amerikanischen Exil die Metropole New York.

Letzterer jedoch hat ein Problem: Als Journalist für die Zeitschriften New York Times Magazine, Harper's Bazaar und nicht zuletzt Outside muss er die schützende Insel Manhattan nicht selten verlassen. Der Gelderwerb zwingt ihn zu gänzlich widernatürlichem Verhalten. Denn eigentlich geht er „nicht vor die Tür. Nur, wenn's unbedingt sein muss. Der springende Punkt in New York zu wohnen ist doch der, dass man nicht raus muss. Und wenn man Lust auf Grün hat? Lässt man sich Spinat kommen.“

Stattdessen aber muss der schmächtige schwule Reporter mit dem, wie er selbst urteilt, unverkennbar jüdischen Aussehen auf Geheiß seines Chefredakteurs mit einem dieser männlichen Männer aus New Hampshire den Monadnock, den „meistbestiegenen“ Berg der Welt, erklimmen. Und als wäre das nicht schon gefährlich genug, findet der Ausflug auch noch an einem christlichen Feiertag, dem ersten Weihnachtstag statt („In Neuengland nennt dich jeder Dave“).

Doch diese wie andere Aufgaben und Anfechtungen meistert Rakoff mit dem vermutlich probatesten Mittel – einer Riesenportion Sarkasmus. Ob er davon berichtet, wie er als kleiner Junge zur Erntezeit ins israelische Kibbuz verschickt wird („Wacht auf, Verdammte dieser Erde“), von einem esoterischen Workshop bei Steven Seagal („Einer davon ist die Hölle“) oder von einem Job als Sigmund Freud-Darsteller in einem Schaufenster („Weihnachtsfreud“): Es scheint keinen Ort und keinen Moment in seinem Leben gegeben zu haben, der seinen Humor hätte erschüttern können. Nicht einmal die Krankenstation, auf der Rakoff einige Monate verbringen musste, um seinen „Anfänger-Krebs“, wie er ihn der hohen Heilungschancen wegen nennt, mit Chemotherapie zerstören zu lassen („Ich war einmal Kunde ihrer Bank“).

Wenn Rakoff das Lachen vergeht, dann am ehesten bei der Aussicht auf fünf Tage Lachen am Stück: unterwegs zum zehnten Jährlichen U.S. Comedy Arts Festival („Die beste Medizin“). Denn wenn er eins nicht ausstehen kann, ist es Schenkelklopf-Humor mit Anti-PC-Gestus. Die Offenheit der essayistischen Form behält Rakoff jedoch bei: Trotz des Subjektivismus seiner Schilderungen wird man selten allzu wertende oder abschließende Sätze von ihm hören oder lesen. Sein tiefer Skeptizismus verlässt ihn kaum einmal. Wenn doch, dann ist es nicht ernst gemeint: „Das zentrale Thema meines Lebens besteht darin, Schwindler zu sein. Nein, auch das ist gelogen.“ Christiane Müller-Lobeck

 Lesung morgen, 20 Uhr, Abaton

David Rakoff, Gelogen, Diana Verlag 2002, 286 S., 18 Euro

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