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Ein Bär unterm Fuß

Aufi bretteln und owi wedeln: Skitourengehen mausert sich zum Leistungssport. Nächstes Jahr gibt’s erstmals deutsche Meisterschaften und bei Winterolympia 2006 wird der Bewerb demonstriert

Der Alpenverein übt den Spagat zwischen Leistungssportund Unschuld

von JÖRG SPANIOL

Ein Samstag im Februar, kurz vor neun. Auf dem Parkplatz der Karwendelbahn steht der Bürgermeister von Mittenwald und zählt rückwärts. 70 Sportler lauschen. „Acht!“ Die Gespräche hinter der Startlinie ersterben. „Fünf!“ Hände greifen die Ski so fest, dass die Stahlkanten einschneiden. „Drei!“ Das Räuspern und Husten bricht ab. „Eins!“ Die Menge hastet los.

Sie rennt, die Ski noch immer in den Händen, weg von der Talstation die Straße aufwärts, als gälte es, mit der Gondelbahn um die Wette die Karwendelspitze zu bestürmen. Starter in glänzenden Rennanzügen traben vorneweg, um an der hundert Meter höher liegenden Schneegrenze in die Skibindung zu springen, rauf zum Gipfel zu hasten, am Kulminationspunkt die Steigfelle wegzureißen und sich wieder ins Tal zu stürzen. Exakt 950 Höhenmeter müssen sie vor der gewaltigen Felskulisse bewältigen.

„Skitouren-Rennen“ heißt dieser alpine Wettkampf, der an diesem Februar-Samstag zum dritten Mal im oberbayerischen Dammkar ausgetragen wird. In den West- und Südalpen haben diese Bergauf-Bergab-Rennen für Skibergsteiger so große Tradition und so viel Zulauf, dass sie bei den Olympischen Winterspielen in Turin 2006 Demonstrationswettbewerb sein werden. Da ist es nur wenig erstaunlich, dass Deutschland eine Nationalmannschaft braucht. Die hat der Deutsche Alpenverein (DAV) aufgestellt. Eine Entscheidung, der heftige Diskussionen vorausgingen, ist der Alpenverein doch gleichzeitig auch Naturschutzverband, der sich mit Projekten wie „Skibergsteigen umweltfreundlich“ befasst. Streitfrage ist unter anderem: Lassen sich Veranstaltungen, bei denen Hunderte von Teilnehmern um die Wette durchs Gebirge trampeln, mit dem Naturschutz vereinbaren? So war das „Diamir-Race“ im Dammkar auch ein Testlauf, mit dem der DAV sowohl seine Kompetenz in Sachen „Naturverträglichkeit des Skibergsteigens“ als auch seine Leistungsfähigkeit als Sportverband unter Beweis stellen wollte. Mit Erfolg: Wenn alles glatt geht, wird das Rennen nächstes Jahr als deutsche Meisterschaft veranstaltet.

Am Gipfel: Der Südtiroler Manfred Reichegger fetzt als Erster die Felle von den Belägen und durchfräst den schweren Schnee. Es geht weder um Stil noch um Genuss – sondern um den Sieg. Und den hat sich der Südtiroler nach einer Stunde und 46 Minuten gesichert. Ein Amateur, der doppelt so lange braucht, ist immer noch zügig unterwegs.

Fast zehn Minuten nach Reichegger bollert Franz Grassl als bester deutscher Teilnehmer auf Skischuhsohlen durch den asphaltierten Zieleinlauf, auf Rang fünf, hinter vier Sportlern aus der Schweiz, Italien und Österreich. Ein deutlicher Abstand ist das, aber der Alpenverein ist zufrieden mit seinem Team, das en bloc immerhin den Rest der Top-Ten stellt. „Deutschland ist einfach um Jahre zurück, was die Entwicklung angeht. In den romanischen Ländern gibt es solche Rennen schon ewig, die haben eine viel stärkere Basis. Und bei den Erstplatzierten sind regelmäßig ein paar Profis dabei“, sagt der deutsche Teamchef Stefan Winter, Leiter der Abteilung „Spitzenbergsport“ im DAV. Das zeigte sich auch bei den ersten Weltmeisterschaften im Januar im französischen Serre-Chevalier. Auf Platz sechs kam das deutsche Team ein, geschlagen von Ländern mit fortgeschrittener Rennkultur. Auf WM-Rang sieben: der Zwergstaat Andorra.

Professioneller Sport zeichnet sich dadurch aus, dass viel Geld im Spiel ist. Und da sieht es hierzulande bescheiden aus. Der Alpenverein hat mit seinen Hunderten von unterhaltspflichtigen Berghütten und über 600.000 Mitgliedern anderes zu tun, als einen fast zuschauerfreien Leistungssport zu päppeln. Und die Spezialprodukte der Bergsportbranche richten sich nur an eine kleine Zielgruppe.

Auf dem Parkplatz: Es plärren Lautsprecher unablässig gegen die Wände der vereinsamten, aufblasbaren Gummiburgen, in denen Vertreter der wenigen Sponsoren darauf warten, dass sich jemand für ihre Produkte interessiert. Einer von ihnen ist hörbar unzufrieden: Manfred Arnold, Importeur einer der speziellen Skibindungen. „Wenn ich mir das anschaue, muss ich unser Engagement überdenken. Wir brauchen nicht nur den Spitzensport, sondern auch den Breitensport und mehr Öffentlichkeit“, kritisiert Arnold. Viele Mitglieder der Nationalmannschaft starten zudem im Team des Konkurrenten auf dem Markt.

Der Erste fetzt die Felle von den Belägen und durchfräst den schweren Schnee

Dem Sponsorenwunsch nach mehr und größeren Veranstaltungen will der naturschützende Teil des Alpenvereins jedoch derzeit nicht nachkommen. Manfred Scheuermann sagt: „Aus unserer Sicht gibt es im deutschen Alpenraum kaum Möglichkeiten, über die bestehenden Traditionsveranstaltungen hinaus Rennen durchzuführen, die unseren Umweltkriterien entsprechen. Und das heißt unter anderem, dass Rennen nicht in unerschlossenem Gelände stattfinden werden.“ Auch Fernseh-Hubschrauber und Lautsprechermasten sind tabu.

Der Vereinsvorstand teilt offiziell die Zurückhaltung. Bei den Olympischen Winterspielen 2006 in Turin ist das leistungsmäßige Skitourengehen Demonstrationswettkampf, doch für Ingo Buchelt vom Alpenverein wäre selbst eine Olympiateilnahme im Jahr 2010 noch zu früh: „Der Sport soll sich bei uns nachhaltig entwickeln. Ich bin auch gar nicht daran interessiert, dass sich das wettkampfmäßige Skibergsteigen unkontrolliert ausweitet und kommerzialisiert.“ Insider unterstellen der Führungsriege dennoch den Wunsch, erfolgreiche Olympioniken mit DAV-Logos auf der Mütze ins Scheinwerferlicht zu wünschen. Der Alpenverein übt den Spagat zwischen Leistungssport und Unschuld – und hofft, dass ihn die Übung nicht überfordert. Doch das Mittenwalder Rennen steht auch denen offen, für die Dabeisein wirklich alles ist. Während die Recken der Nationalmannschaft längst entspannt unprofessionell beim Weißbier sitzen, kommen die anderen ins Ziel. „Unterwegs habe ich mich schon gefragt, ob das noch Männer sind oder schon Gämsen. Aber es waren Männer“, sagt eine erschöpfte Breitensportlerin. Spricht’s, setzt sich neben ihren Begleiter an den Tisch und genießt die Sonne, die die letzten Meter der Strecke bereits unbefahrbar gemacht hat.

Im steilen Dammkar, 1.000 Meter weiter oben, arbeiten die Strahlen derweil daran, die Spuren des Rennens ökologisch korrekt versickern zu lassen. Der Alpenverein hatte bei seiner Premiere als Umwelt schützender Leistungssportverband nämlich angeregt, die Richtungspfeile umweltfreundlich mit Traubensaft in den Schnee zu gießen.

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