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USA enttäuschen Russen

Russlands Elite sieht sich in ihren Vorurteilen über die USA durch das amerikanische Verhalten im Anti-Terror-Kampf mal wieder bestätigt. Putins US-freundlicher Kurs zahlt sich innenpolitisch nicht aus

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Washingtons jüngste Unfreundlichkeit, Russland als mögliches Ziel eines US-Atomschlags zu bezeichnen, wurde in Moskau mit erstaunlichem Gleichmut aufgenommen. Dabei erfolgte dies just am Vorabend der US-Visite des russischen Verteidigungsministers Sergej Iwanow. War der seit September in Wartestellung verharrende angehende strategische Partner plötzlich wieder zum Kaltekriegsgegner zurückgestuft geworden ?

Russlands politische Elite würde es am liebsten so sehen. Trotzdem hielt sich die Empörung in Grenzen. Denn das geheime Strategiepapier enthielt für Moskau keine Neuigkeit. Neu war nur Washingtons indirektes Eingeständnis, ein Raketensystem geringerer Sprengkraft aufbauen zu wollen: Raketen für den chirurgischen Antiterrorkampf. Das ist nach dem Geschmack von Moskaus Militärs und Rüstungslobby. Der russische Sicherheitsrat segnete ein ähnliches Vorhaben bereits 1999 ab. Nur die Zustimmung des Kremls stand noch aus. Doch warum sollte Moskau in Tschetschenien nicht einsetzen, womit Amerikaner weltweit den Terror bekämpfen?

Wladimir Putin hat zur Zeit einen schweren Stand. Seine Entscheidung vom September, sich auf die Seite der USA zu schlagen, stößt bei der Elite Russlands auf Ablehnung. Aus dem Exgeheimdienstchef Putin ist ein Doppelagent geworden, der den amerikanischen Expansionsdrang unterstützt. Kein patriotischer Russe kann das so einfach nachvollziehen. Russland soll sich heute über einen US-Erfolg mehr freuen als über eine US-Schlappe. Dabei stehe die politische Elite, so Nowaja Gaseta, in Weltsicht und Mentalität den Taliban näher als den Amerikanern. Die halte die US-Präsenz in Zentralasien für gefährlicher als das Eindringen von Islamisten in Usbekistans Fergana-Tal.

Trotzdem hat Putins Rückhalt in der Bevölkerung nicht nachgelassen. Er hat laut Umfragen weiter über 70 Prozent Zustimmung. Der Anteil der Freunde und Gegner der USA ist in Russland seit Jahren mit jeweils etwas über 40 Prozent konstant geblieben. Die Ablehnung der USA bei der Intelligenz ist kategorischer und schärfer. Im politisch aktiveren Teil der Bevölkerung rechnet man auf, was der Kreml für sein Wohlverhalten vom Westen als Gegenleistung erhalten hat.

Das ist nicht viel: Zwar hat der Westen zum Genozid in Tschetschenien geschwiegen. Aber das ist keine echte Belohnung, denn aus russischer Sicht führt der Kreml im Kaukasus einen gerechten Krieg. Stattdessen beantwortete das Pentagon die Zustimmung Moskaus zur Stationierung von US-Truppen in Zentralasien mit der Kündigung des ABM-Vertrags zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen.

Der Schließung sowjetischer Militärstützpunkte und Abhöranlagen in Vietnam und Kuba folgt voraussichtlich im November die Nato-Osterweiterung. Dazu landeten auch noch US-Militärberater im kaukasischen Georgien – an Russlands sensibler Südgrenze. Die Disqualifizierungen russischer Athleten bei den Olympischen Spielen in Salt Lake City brachten das Fass beinah zum Überlaufen. Die Bürger sahen darin eine Fortsetzung der Diskriminierung durch die USA mit anderen Mitteln.

Und vergangene Woche verhängte Washington auch noch einen Einfuhrstopp für russischen Stahl. Moskau untersagte postwendend den Import von US-Hühnerkeulen, den „Bush-Beinchen“, wie sie der Volksmund nennt. Die nächste Herausforderung dürfte Washingtons Umgang mit Irak sein. Moskau lehnt eine Militärintervention ab. Auch aus wirtschaftlichen Motiven, denn Bagdad schuldet Russland noch acht Milliarden Dollar aus Sowjetzeiten. Deshalb ist Moskau auch für die Aufhebung der Handelssanktionen.

Putin steht vor einer heiklen Aufgabe: Schlägt er sich auf die Seite der USA, dürfte die heimische Elite schäumen. Ergreift er das Wort Bagdads, wird er am Ende auf der Verliererseite stehen, gedemütigt und um jene bescheidenen Vorteile geprellt, die der Schulterschluss mit dem Westen doch noch einbringen könnte.

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