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Immer gegen den Strich

Kein anderes Archiv denkt so selbstkritisch über das Sammeln nach und entwickelt dabei so viel Witz wie das Museum der Dinge. Nach der Kündigung im Gropius-Bau ist seine Zukunft nun unsicher

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Mit dem Werkbundarchiv/Museum der Dinge droht einem zweiten Museum in Berlin nach der Berlinischen Galerie die Obdachlosigkeit. Dabei ist das kleine Museum, das seit 1986 im Martin-Gropius-Bau unter dem Dach zu finden ist, ungeheuer produktiv: Keine andere Sammlung überprüft so oft ihre Methoden der Vermittlung, um die Geschichte gegen den gewohnten Strich zu bürsten. Ihre Bestände verfolgen den Weg der Alltagskultur zurück bis in die Anfänge der Moderne, als Architektur, Gestaltung, Kunst, Philosophie und Politik gemeinsam von einer Reform zum glücklicheren Leben träumten. Doch ihr Fortbestehen ist nicht mehr sicher, seit der Bund, neuer Eigentümer im Martin-Gropius-Bau, den Nutzungsvertrag zum Ende des Jahres gekündigt hat.

„Wegsehen ist keine Antwort“ heißt programmatisch die gestern eröffnete Ausstellung, mit der Anna Maigler, Direktorin des Museums seit Januar 2001, sich entschlossen hat, kurzfristig auf die veränderte Situation zu reagieren. Sie stellt die bisherige Arbeit noch einmal in neuer Auswahl vor: Wieder werden Pragmatismus und der ökonomische Sachzwang industrieller Gestaltung sich an Warenmustern reiben, die eine bessere Welt mit vorbereiten wollten. Wieder werden die Dinge ihre größte Stärke dort behaupten, wo sie sich ohne Steuerung in unvorhergesehenen Situationen entwickeln mussten: Da gibt es zum Beispiel den Raum mit den Funkantennen, die Anfang der Neunzigerjahre von den letzten sowjetischen Soldaten in den Kasernen selbst gebaut wurden, als die offiziellen Kommunikationskanäle zusammenbrachen. Die Antennen erinnern an dadaistische Skulpturen und einen Tanz von Gespenstern, die sich mit Resten des technischen Fortschritts notdürftig neu eingekleidet haben. Auch die Ausstellung 1996 unter dem Titel „Sichern unter: Funkantenne? Sowjeterbe? Kunstobjekt?“ lotete die Ambivalenz zwischen dem Zeugnis eines historischen Umbruchs und der Lust an der improvisierten Form aus. Solche doppelte Befragung findet man sonst weder in historischen noch ästhetisch geordneten Sammlungen.

Schon lange litt das Museum der Dinge, das aus dem Archiv des 1907 gegründeten Werkbundes hervorgegangen ist, darunter, ohne eigenen Werbeetat zu arbeiten. Zudem sind die Ausstellungsräume unter dem Dach des gründerzeitlichen Palastes schwer zu finden; erst recht, seit die Berlinische Galerie ausgezogen ist. An den Eintrittsgeldern, die der Betreiber, die Berliner Festspiel-GmbH, mit dem Verkauf von Verbundkarten einnimmt, ist das Museum nicht beteiligt. „Hier oben aber noch mal eigens Eintritt zu verlangen, würde Besucher zu Recht verärgern und dem ganzen Haus schaden“, findet die Direktorin. Vom Senat erhält das Museum der Dinge eine Sockelförderung von 280.000 Euro für Gehälter und Sachmittel. Für Projekte wurden fast immer Drittmittel hinzugeworben, am erfolgreichsten bei einer Ausstellung mit Manuskripten von Leonardo da Vinci und Zeichnungen von Beuys. Voraussetzung aber war, dass das kleine Museum die Räume vom Senat, dem alten Eigentümer, mietfrei zur Verfügung bekam.

An jedem neuen Standort aber wird die Sammlung, die von einem privaten Verein getragen wird, Miete zahlen müssen, und ein Konzept, wie dieser Mehrbedarf aufgebracht werden soll, fehlt bisher. „Zurzeit bin ich mit rauchenden Socken unterwegs“, meint Anna Maigler und hofft, noch Zeit gewinnen zu können. Sie will zum Beispiel bei den Firmen, deren Corporate Identity einst von den Künstler des Werkbundes geprägt wurde – wie Bahlsen, Pelikan, AEG – fragen, was ihnen die Pflege der Archive wert ist.

Auch in der Senatskulturverwaltung läuft die Suche nach Standorten. „Gespräche und Überlegungen über eine neue Anbindung“ werden geführt, versichert die Sprecherin der Kulturverwaltung, Annette Walz. Dabei wurde die Fortsetzung der Förderung für nächstes Jahr an den Nachweis eines neuen Domizils gebunden. Der Verein ist aufgefordert, keine längerfristigen Verbindlichkeiten mehr einzugehen. Das erhöht dann doch die Angst, wenn sich die Standortfrage nicht lösen lässt, weggespart zu werden.

Bevor sie an das Museum der Dinge kam, hat die Kunsthistorikerin Anna Maigler das Designzentrum auf der Mathildehöhe in Darmstadt aufgebaut und als Designmanagerin Ministerien beraten. Die neue Aufgabe erschien ihr attraktiv, „weil kaum ein anderes Museum so lebendig mit dem Material umgeht“. „Kindern geht es gut hier“, beobachtet sie immer wieder: Vor jeder wissenschaftlichen Zuordnung steht hier die sinnliche Erfahrung, aus dem Alltag Vertrautes in ungewohnten Zusammenstellungen plötzlich als Informanten von neuen Erkenntnissen zu erleben.

Tatsächlich legt kein anderes Museum die selbstkritische Reflexion der Praxis des Sammelns und Systematisierens so offen und behandelt die Kategorien der soziologischen, ästhetischen oder ethnologischen Zuordnung mit so viel Witz. Über diesem Charme hat Maigler vielleicht übersehen, dass das Werkbundarchiv in den Achtzigern und Anfang der Neunzigerjahre sehr viel näher am Puls der Zeit war als zum Schluss. Seine kritische Haltung gegenüber Wissenschaft und Museologie gilt heute fast als Luxus der Vergangenheit.

Dabei arbeitet das Museum noch immer im blinden Fleck der Alltagskultur. „Heute nehmen wir die industrielle Produktion in Kauf, aber zu Hause fühlen wir uns noch immer mit Leistungen von Manufakturen“, sagt Anna Maigler. Die digitalen Technologien haben die theoretische Aufarbeitung der industriellen Revolution verdrängt; die liefert aber noch immer die Matrix unseres Alltags. Die Ausstellungen des Werkbundsarchivs waren mit Forschungsprojekten verbunden: über die frühe Massenproduktion, über Plakate der russischen Revolution, über die Syntax der Werbung zu Beginn der Moderne, über die utopischen Architektenträume von Bruno Taut und die veränderte Wahrnehmung der Stadt in der Zeit Walter Benjamins.

Projekte gibt es viele. Zusammen mit zwei Hochschulen arbeitet das Archiv an einer Geschichte der Virtualität: „Das Gedächtnis und die Vorstellungskraft haben schon lange vor dem Computer mit räumlichen Vorstellungen gearbeitet. Davon handelt die Rhetorik Ciceros oder die ausgemalten Kapellen von Giotto“, erzählt Maigler, die sich mit einer solchen Ausstellung auch an die künftige Generation von Softwareentwicklern wenden will. Eine weitere Idee ist, Gerichtsarchive und wie dort Indizien dokumentiert werden, zu thematisieren. Wo dies alles aber stattfinden kann, steht im Moment in den Sternen.

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