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Postsowjetische Realitäten

Im zentralasiatischen Ferghanatal sind Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan ineinander verkeilt. Der aufkeimende Nationalismus der jungen Staaten und die „islamistische Gefahr“ lassen willkürliche Grenzen zu Blockaden werden

von MARCUS BENSMANN

Das Ferghanatal, eines der fruchtbarsten und bevölkerungsreichsten Teile Zentralasiens, wird von zwei Hochgebirgen umschlossen, dem Tien Schan und dem nördlichen Ausläufer des Pamirs. An der Haupttransitstrecke der einstigen Seidenstraße gelegen, können Städte wie Kokand, Osch oder Chodschent auf eine jahrtausendalte gemeinsame Tradition zurückblicken. Heute liegen sie in drei verschiedenen Staaten: Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan.

In kaum einer anderen Region zeigte sich der machtpolitische Zynismus der sowjetischen Nationalitätenpolitik so deutlich wie im Ferghanatal. Die Grenzen der einzelnen Republiken wurden ohne Rücksicht auf kulturelle und geografische Einheiten gezogen. Dementsprechend sind auch die nach dem Zerfall der UdSSR entstandenen Staaten regelrecht ineinander verkeilt.

Gas gegen Wasser

Früher konnten die Bewohner des Ferghanatals ungehindert vom kirgisischen Osch ins usbekische Andischan, oder vom tadschikischen Chodschent ins usbekische Kokand reisen, um Verwandte zu besuchen oder auf dem Nachbarbasar Handel zu treiben. In den zehn Jahren der neuen Staatlichkeit entstanden aber überall Grenzposten. Nur zu Fuß kann die Grenze noch überquert werden und auch dann sind die Menschen der Willkür der Beamten ausgeliefert.

Die Ethnien leben völlig unabhängig von den Staatengrenzen, spüren die staatliche Aufteilung aber nicht nur an den Grenzen. Usbekistan dreht den kirgisischen und tadschikischen Städten wegen unbezahlter Rechnungen den Gashahn zu, so dass die Menschen gezwungen sind, im Winter in den Plattenbauten mit Holz zu heizen. Kirgisistan andereseits sammelt im Winter nicht genügend Wasser in den Staudämmen am Tien-Schan-Gebirge, da es dieses zur Stromgewinnung benötigt. Im Sommer reichen die Reserven dann nicht für eine ausreichende Bewässerung der usbekischen Felder. Die usbekische Baumwolle wiederum ist ein staatliches Monopol, und nur die Staatsfirma darf das weiße Gold exportieren. Doch der Baumwollschmuggel nach Kirgisistan blüht. Die skurrile Folge: Kirgisistan exportiert mehr Baumwolle, als es produziert.

Blutiger Streit um Boden

Entlang des großen Ferghanakanals reiht sich eine schier unendliche Kette von Dörfern und Siedlungen. Der Kanal wurde in den Dreißigerjahren in Rekordzeit mit rein menschlicher Arbeitskraft durch das Land getrieben, um den Baumwollfeldern Wasser zukommen zu lassen. Die mit Lehm verputzten Häuser der Siedlungen sind in einer Art Häuserrund, einer Mahalla, zusammengefügt und wirken so wie kleine Festungen, die man durch ein eisenbeschlagenes Tor betreten kann.

Die einschläfernde Friedlichkeit, die den Reisenden beschleicht, wenn er durch die endlosen Dorfzeilen fährt, täuscht. Kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion explodierte rohe Gewalt aus den beschaulichen Ansiedlungen. Kirgisen und Usbeken fielen mit Äxten und Schlagstöcken übereinander her. Tausende Menschen kamen zu Tode.

Während die Usbeken seit jeher das Feld bestellen, sind die Kirgisen Nomaden. Im Sommer treiben sie ihr Vieh auf die Hochweiden des Tien Schan und des Pamir und leben dort in mit ihrem Familienverband in Jurten. Das Leben auf den Weiden entzieht sich den fest gezurrten Regeln einer Mahalla. Mit dem ersten Schneefall beginnen die Nomaden mit dem Abtrieb und suchen für das Vieh die Weiden im Tal. Aus diesem Streit um Boden entstand der blutige Aufstand, der auch vor den Landesgrenzen nicht Halt machte.

Nach der eruptiven Gewalt beruhigte sich die Lage jedoch schnell wieder. Und nun kann man Kirgisen, Tadschiken und Usbeken sehen, wie sie friedlich nebeneinander auf dem bunten Basar im kirgisischen Osch handeln. Doch nicht nur um Früchte und Gemüse wird gefeilt, einer der wertvollsten Waren ist das Opium, das aus Afghanistan und Tadschikistan über unwirtliche Gebirgspfade seinen Weg in das Ferghanatal findet.

Drogen und Islam

Das quirlige Osch ist über die Jahre zu einem Hauptumschlagplatz des Drogenhandels geworden. Prächtige und meist geschmacklose Betonpaläste, teure Autos der Luxusklasse und herumlungerte Drogenabhängige bestimmen seither das Stadtbild der kirgisischen Stadt im Süden.

Außer vom Drogenhandel fühlen sich die zentralasiatischen Staaten vom wachsenden islamischen Extremismus bedroht, der hinter in den Mahallas gedeiht. Vor allem in usbekischen Siedlungen rekrutieren Prediger junge Männer für die Islamische Bewegung Usbekistans, IMU, und die Hisbi-Tahrir. Der bewaffnete Arm der IMU hatte unter der Führung eines Usbeken aus Namangan im usbekischen Teil des Ferghanatals seine Basen in Afghanistan unterhalten und seit 1998 immer wieder Überfälle auf Kirgisistan und Usbekistan unternommen.

Ein Großteil der Kämpfer der IMU ist nach der Niederlage der Taliban in Afghanistan gefangen genommen oder getötet worden. Die konspirativ agierende Hisbi-Tahrir kann sich jedoch bis heute im Ferghanatal staatsübergreifend halten. Ihre Hauptforderungen ist die Errichtung eines weltumspannenden Kalifats. In dem von den Grenzen durchschnittenen Ferghanatal findet diese Idee viele Unterstützer.

Die Geheimdienste von Usbekistan und Tadschikistan bekämpfen mit aller Gewalt die Strukturen der Hisbi-Tahrir. Über 6.000 Männer schmachten nach Aussagen von Human Rights Watch in usbekischen Gefängnissen, viele von diesen Männern kommen aus dem Ferghanatal. Die meisten Prediger aus den Moscheen wurden verhaftet und durch staatstreue Geistliche ersetzt. In ganzen Straßenzügen in Namangan ist die männliche Bevölkerung verschwunden. Hinter der brutalen Repression vermuten ausländische Diplomaten in Taschkent jedoch eine gezielte Einschüchterung der Eliten aus Ferghana: Die Religion spielt nur ein vorgeschobene Rolle.

Am 25. April liest der im Ferghanatal lebende Schriftsteller Shamshad Abdullaev im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Informationen unter 0 30 39 78 71 75 oder www.hkw.de

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