: Rasen, rutschen, raufen
Der mythische Weg des Islams: Die Brüder und Schwestern der Sufigemeinschaft Tariqa Burhaniya suchen Gott in Meditation, Versenkung, über den Weg des Herzens. Am Wochenende lud der Orden öffentlich zur Hadra-Zeremonie
Eine bunte Mischung von Menschen strömt in den großen Saal der Werkstatt der Kulturen. Männer und Frauen jeden Alters, einige in langen Gewändern, mit bunten Mützen, Turbanen oder Kopftüchern, andere in westlicher Garderobe. Etliche kommen aus dem Sudan und aus Ägypten, auch viele Deutsche sind zu der öffentlichen Hadra gekommen. Während sie sich auf Stühlen und Sitzpolstern am Rand des Raums sammeln, erobert eine Horde Kinder den riesigen grünen Teppich in der Mitte. Sie spielen Fangen, tanzen und sind schon vor der Zeremonie in eine andere Welt versunken.
Tuchbahnen mit arabischen Inschriften schmücken die umlaufende Galerie. In goldenen Zeichen auf schwarzem Untergrund prangen die 99 Namen Allahs am Kopfende des Saals, umrahmt von den Bildern der Scheichs, die die Sufigemeinschaft Tariqa Burhaniya im Sudan wiederbelebt haben. Der Orden wurde im 13. Jahrhundert von zwei ägyptischen Kalifen gegründet. Heute gibt es in der ganzen Welt Burhanis, in Berlin hat der Orden viele deutsche Mitglieder. Grundlage des Sufismus ist der Islam. Anders als die „offizielle“ Richtung der Rechtsgelehrten versuchen die Sufis, nicht über den Weg der Scharia, sondern über den Weg des Herzens ihren Glauben zu festigen und eine enge Beziehung zu Gott aufzubauen. Die Hadra, auf deren Beginn alle bereits ungeduldig warten, ist das gemeinsame Ritual der Ordensbrüder und Schwestern, bei dem sie durch Meditation und Versenkung die unmittelbare Gegenwart Gottes erfahren wollen.
Immer noch begrüßen sich kleinere Grüppchen, die Kinder spielen inzwischen Sockenrutschen auf dem Parkett. Arabische Gesänge und leise Trommelrhythmen stimmen auf das Ritual ein. Allmählich tritt der Gesang in den Vordergrund, wird von einer Gruppe übernommen. Es bildet sich ein singender und klatschender Zug aus Männern, die begleitet von Trommeln und Becken hinter zwei Fahnenträgern durch den Raum ziehen und sich allmählich in der Nähe der Hadralampe sammeln. Sie leuchtet grün-weiß-orange, sonst ist der Raum fast dunkel. Der hintere Teil wird abgetrennt, hier ist Platz für die Frauen, die sich jetzt auf dem Teppich sammeln. Die Trennung soll schützen, nichts darf von der reinen Konzentration auf Gott abhalten.
Ein Vorsprecher begleitet die wechselnden Rhythmen mit seinem Singsang, er ruft die Engel, Propheten und Heiligen der Burhanis an. Die Gruppe beginnt, ihn klatschend zu begleiten: „La ilaha illa-Allah“ – Es gibt keine Gottheit außer Gott. Die Frauen wiegen sich stumm im Rhythmus. 100, vielleicht 200 Menschen sitzen in Reihen auf dem Boden. Sie stehen auf, beginnen sich zu bewegen. Sie drehen sich auf einem Fuß zur Seite, knicken leicht in die Knie und reißen ihren Körper mit einem Impuls aus Schultern und Hüfte um die halbe Achse. Aus tiefster Kehle stoßen die Männer einen Laut aus. Allah. Allah. Der Rhythmus wird immer schneller, in immer kürzeren Abständen rezitieren sie den Namen Gottes. Vor mir bewegen sich die schweigenden Reihen der Frauen. Ihre Augen sind geschlossen. Manchmal blicken sie durch die Lücken zwischen den Paravents und übernehmen die Bewegungsänderungen der Männer. Unheimlich, wie Sufigeister wirken sie in ihrer stillen Ekstase. Über alles legt sich die schöne Stimme des Sängers, der Gedichte der Gemeinschaft singt.
Aus allen Nischen des Raums hallt der Gesang wider. Irgendwann erreicht die Zeremonie ihren vorläufigen Höhepunkt, doch ein einzelner Sänger erhebt die Stimme wieder und langsam fängt die Drehbewegung aufs Neue an. Nur vereinzelte Blitzlichter von Fotografen unterbrechen die Versenkung. Irgendwann wird das Licht heller, der Singsang geht in Sprache über, wie nach langer Abwesenheit begrüßt jeder seinen Nachbarn. Die Burhanis singen weiter Qasida-Musik, Tee mit viel Milch und Honig wird gereicht. Einige Jungs balgen sich auf dem Teppich. Aber die meisten Kinder lassen sich weder von der Musik noch von Gesprächen stören und schlafen längst auf den Polstern.
SILKE LODE
Regulär findet die Hadra der Tariqa Burhaniya Berlin donnerstags um 20.30 Uhr statt, Weigandufer 28, Neukölln
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen