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Vom Kaffeetisch nach Surinam

Waren deutsche Frauen noch nie besonders abenteuerlustig? Milbry Polks und Mary Tiegreen nahmen jedenfalls nur vier von ihnen auf in ihr Buch „Frauen erkunden die Welt“. Egal. Wer diesen wunderbaren Band liest, hat allen Grund zum Schwelgen – und kann eine Menge lernen

Natürlich finden wir Coffeetablebooks ziemlich überflüssig, ja, geradezu doof. Sie sind schwer, staubanfällig, teuer – und schon nach einmaligem Durchblättern der bunten Seiten hat man genug und nur wenig dazu gelernt. Natürlich gibt es Ausnahmen. Sie sind zwar ebenfalls schwer und staubanfällig, erfüllen aber dafür einen guten Zweck: Es sind viele wunderbare Bilder darin, und man hat nach mehrmaligem Durchblättern und wiederholtem irgendwo Hängenbleiben jede Menge dazugelernt.

Zunächst einmal dass es solche Bände wie „Frauen erkunden die Welt“ von Milbry Polk viel öfter in den USA gibt als in Europa. Polk folgte den Spuren von Entdeckerinnen und untersuchte Stätten der Artus-Sage in Wales, zog mit Beduinen durch Jordanien und Ägypten, fuhr mit dem Kajak durch Alaska, leitete eine Kamelexpedition auf den Spuren Alexander des Großen; sie ist Mitglied des Explorers Club, der Royal Geographical Society, und hat natürlich einen Harvard-Abschluss. Bevor wir jetzt aber das Buch kleinmütig wieder zuklappen, sollte uns vielleicht eine Information trösten, die man dem Buch entnehmen kann (und die ja vielleicht, eventuell, möglicherweise gar nicht stimmt!): Deutsche Frauen scheinen nicht besonders abenteuerlustig zu sein.

Unter den nahezu 80 beschriebenen Frauen sind jedenfalls nur ganze vier aus Deutschland zu finden – die älteste, Sybilla Merian, Botanik-Malerin, die sich 1699 zusammen mit ihrer Tochter auf eine Seereise nach Surinam begab, um dort zu sammeln, zu beschreiben und zu malen. Mitte des 19. Jahrhunderts zog die nächste Pflanzensammlerin zunächst durch Europa und später nach Afrika und Australien. Amalie Nelle-Dietrich, eine Sächsin, die von ihrer kräuterkundigen Mutter viel über die Pflanzenwelt gelernt hatte, legte damals die wohl größte Sammlung australischer Flora und Fauna an. Nach Amalie wurden später ein Dickkopffalter und eine Wespe benannt. Weitere hundert Jahre nach Nelle-Dietrich untersuchte die Mathematikerin Maria Reiche, die vor den Nazis nach Peru geflohen war, dortige Erdlinien, die ungewöhnliche Muster und Bilder, geometrische Gebilde und Spiralen im Erdboden zeigten. So entdeckte sie den gigantischen Nasca-Kalender, der 1994 zum Unesco-Welterbe erklärt wurde.

Bleibt die offenbar unvermeidliche Leni Riefenstahl. Sie ist die Jüngste der Deutschen, und es scheint, als ob danach nichts mehr gekommen sei.

Diese Tatsache könnte ja nun hiesige Autorinnen zur Suche anregen. Sie werden dann vielleicht feststellen, dass uns schon die spektakuläre Vorwortschreiberin fehlt – eine wie Christiane Amanpour, die weltberühmte Reporterin von CNN. Vielleicht müsste es bei uns doch eher ein Buch über die stille Bodenständigkeit der deutschen Frau werden? Mit einem Vorwort unserer guten Rita Süßmuth (wahlweise Renate Künast, Heidi Klump oder Sabine Christiansen). Bis es aber so weit ist, versenken wir uns in die verschiedenen Kapitel: in die Erzählungen der frühen Reisenden, die zunächst von frühchristlichen Pilgerinnen stammen, die aus Europa kommend, Wallfahrten nach Nordafrika und in den Nahen Osten unternahmen und dort religiöse Zentren stifteten. Andere, etwas weniger spirituell interessierte Damen verkleideten sich später gleich als Männer, um unbelästigt und noch weiter reisen zu können. Im fünften Jahrhundert soll es sogar eine ganze Piratinnentruppe gegeben haben, die von einer holländischen Prinzessin angeführt wurde – alle in Männerkleidung.

Aber auch entführte Frauen schrieben ihre Erlebnisse in der Fremde nieder, wie die von Mongolen gekidnappte Chinesin Wen-Chi (178 n. Chr.), die über ihre achtzehn Jahre andauernde Reise einen Gedichtzyklus schrieb, ebenso wie die japanische Großbürgertochter Sarashina (1008), die zunächst mit dem Vater und dann allein reiste, wobei „allein“ in ihrem Fall heißt: nur von einigen Dienern begleitet. Aus Europa reisten gern die Holländerin, die Winkingerin, die Spanierin und die Französin. Und dann geht es ums Entdecken von neuen Landschaften, neuen Ergebnissen in den Naturwissenschaften, um Künstlerinnen und Abenteuerinnen im weitesten Sinne.

Zum Schwelgen schön sind die gemalten oder fotografierten Porträts, die Fotos von fremden Landschaften und Zeichnungen oder Gemälde von exotischen Tieren und Pflanzen. Natürlich muss einen dieses Buch unbefriedigt lassen, wenn man Genaueres über einzelne Forscherinnen, Reisende, Wissenschaftlerinnen und andere Suchende wissen will. Aber dafür muss man sich dann eben mal selbst auf die Recherche begeben, wenn einen eine der Frauen derart interessiert, dass man ihr vielleicht auch mit ein bisschen Mühe auf die Spur kommen will. Das gilt nicht für die allseits beliebten Primatenforscherinnen Diane Fossey und Jane Goodall, auch nicht für Alexandra David-Neel oder die einschlägig bekannten Pilotinnen Earhart oder Markham, aber doch für eine Reihe anderer Pionierinnen, von denen man sich anregen lassen kann, zumal sowohl zum Thema Entdeckerinnen als auch zu jeder porträtierten Frau ein wirklich exzellenter Anhang mit Literaturhinweisen gestaltet wurde, der, wenn man ihm nachginge, einen die nächsten 20 Jahre beschäftigen könnte. Mit oder ohne Coffeetable. RENÉE ZUCKER

Milbry Polk/Mary Tiegreen: „Frauen erkunden die Welt. Entdecken, Forschen, Berichten“. Frederking & Thaler, München 2002, 256 Seiten, 40 €

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