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Schönste eheliche Harmonie

Das Publikum war eher klein, dafür aber ebenso „distinguished“ wie das Ambiente des Hauses und dessen Gäste: Richard Sennett und Saskia Sassen disputierten in der American Academy in Berlin

Kein Streitgespräch, sondern öffentliches Denken miteinander sollte stattfindenSo verließen sich die beiden auf ein relativ einfaches „Guter Cop – Böser Cop“-Spiel

von DAVID LAUER

Spätestens seit seinem Erfolgsbuch „Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus“ (Berlin Verlag, Berlin 1998) gilt Richard Sennett als einer der wichtigsten Kritiker des globalisierten Kapitalismus. Saskia Sassen wiederum ist eine der führenden Theoretikerinnen der ökonomischen Globalisierung und ihrer Auswirkungen auf politische und kulturelle Praktiken in den Metropolen der Welt – das letzte ihrer auf Deutsch erschienenen Bücher hieß „Machtbeben – wohin führt die Globalisierung?“ (DVA, München 2000). Darüber hinaus sind Sennett und Sassen, die Professuren an der London School of Economics sowie an der New York University beziehungsweise der Universität Chicago innehaben, seit fünfzehn Jahren miteinander verheiratet.

Ein ehelicher Gedankenaustausch dieses Traumpaars über das Verhältnis von Wirtschaft und Kultur im Neuen Kapitalismus muss für einen Globalisierungstheoretiker so verlockend sein wie, sagen wir, ein eheliches Kammerkonzert im Hause Robert und Clara Schumann für einen Musiker. Anders als dieser Traumpaarung konnte man dem Ehepaar Richard Sennett und Saskia Sassen am Dienstagabend tatsächlich lauschen: Die beiden Soziologen sind für vier Wochen „Distinguished Visitors“ der American Academy in Berlin.

Letztere bietet hochkarätigen US-amerikanischen WissenschaftlerInnen und Künstlerinnen die Möglichkeit zu mehrmonatigen Forschungsaufenthalten in Berlin und präsentiert diese Fellows der Öffentlichkeit in Vorträgen und Konzerten. Man residiert in einer herrschaftlichen Villa am Ufer des Wannsees, also dort, wo Globalisierungsgegner von Natur aus nicht gerade in Massen auftreten.

Vielleicht blieb das Publikum deswegen eher klein, war dafür aber ebenso „distinguished“ wie das Ambiente der Akademie und deren Gäste. Zwischen denen blüht eine außerordentlich charmante eheliche Harmonie. Nicht ein Streitgespräch, sondern ein öffentliches Denken miteinander sollte deshalb stattfinden – ein wirkliches Experiment, wie Saskia Sassen versicherte; sie täten dies nicht regelmäßig, jedenfalls nicht vor Zuschauern. Was man ihr auch gerne glaubt.

Nun wirkt sich übergroße Harmonie zwischen zwei Gesprächspartnern meist nicht förderlich auf den Gesprächsverlauf aus: Nur da, wo nicht auf beiden Seiten schon das Gleiche vorhanden ist, gibt es etwas auszutauschen. Das Skript, dem Sassen und Sennett im Verlauf des Abends folgten, auf schweren Ledersesseln vor einem marmornen Kamin thronend, schien deshalb auch ersonnen, um die vorhandenen Differenzen ihrer Ansätze überdeutlich scharf herauszumeißeln. Dabei verließen sich die beiden auf das traditionsreiche amerikanische und relativ einfache „Guter Cop – Böser Cop“-Spiel, dessen Zugfolge allerdings spätestens nach dem dritten Mal vorhersehbar wurde, so elegant und lebendig sie auch vorgetragen wurde: Sennett kam die Rolle zu, kulturpessimistische Vorwürfe an die Adresse des globalisierten Kapitalismus zu formulieren. Danach griff Sassen ein und transformierte seine Kritik in eine Analyse, die dem gegenüber auch die konstruktiven, ermöglichenden Potenziale dieses Prozesses aufzeigte – Globalisierung eben nicht nur als Schicksalsmacht, sondern als veränderbare Praxis.

So attackierte Sennett einmal mehr den kapitalistischen Fetisch der totalen Flexibilität als Killer von Loyalität und Solidarität in der Arbeitswelt: Wer im Dienste der Firma allzeit mobil sein muss, kann keine langfristigen menschlichen Bindungen, keine lineare Biografie, keinen stabilen Charakter mehr kultivieren. Sassen hingegen wies auf die in eins damit entstehenden Freiräume hin, auf die Möglichkeiten der informellen, multilateralen Netzwerkbildung für alle möglichen (auch subversiven) Ziele. Sennett beklagte dafür die bekannte Sprachlosigkeit der Linken, die für den globalisierten Kapitalismus keine Rezepte habe und sich nach den guten alten Zeiten des stahlharten Gehäuses zurücksehne, derweil die Kräfte des neuen Kapitalismus gerade die traditionellen Formen der Solidarität zerfressen, auf denen die Arbeiterbewegung gebaut war.

Aber auch hier beharrte Saskia Sassen darauf, dass dort, wo traditionelle Formen des Zusammenhalts zerstört werden, Kräfte für neue Solidaritäten freigesetzt werden, an denen auch jene Marginalisierten partizipieren können, die zum Beispiel in gewerkschaftliche Solidarität bislang nicht einbezogen waren. Diese Chancen werden allerdings oft gerade von jenen nicht gesehen, die sie in der Praxis bereits ergreifen, so Sassen, die als schlagendes Beispiel das mild paradoxe Transparent „World-wide coalition against globalization!“ zitierte, das in Seattle zu sehen war. Mit Antonio Negri und in Übereinstimmung mit dessen Konzept des „Empires“ fordert Saskia Sassen daher nicht eine Eindämmung, sondern eine Ausweitung der Globalisierung, zum Beispiel auf Arbeitsschutz, Umweltstandards und Pressefreiheit. Die Parole lautet: Schafft ein, zwei, viele Globalisierungen!

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