piwik no script img

Liebesdrama mit Angelhaken

■ Neu im Kino: „Seom – The Isle“ von Kim Ki-Duk erzählt viel von Booten, Fischen, Sushi und sonstigen Meerestieren

Ein Kammerspiel auf einem See – das klingt wie ein Widerspruch in sich, aber genau so wirkt dieser Film des südkoreanischen Regisseurs Kim Ki-Duk. Der See liegt weit abseits von der restlichen Welt. Auf ihm schwimmen ganz kleine Holzinselchen mit winzigen Hütten, die Angler, Saufkumpane oder Freier mieten, um dort ungestört ihrem Vergnügen frönen zu können.

Die junge, stumme Hee-Jin rudert mit dem einzigen Boot die Mieter zu ihren Inselchen, versorgt sie mit Essen, Getränken und Prostituierten. Nachts verkauft sie auch ihren Körper, aber selbst bei den demütigendsten Handreichungen, etwa wenn sie nach der Abreise der Gäste den Schmutz wegwischt, hat man das Gefühl, sie sei die Herrin des Sees und seiner Kammern. Eine davon wird von Hyun-Shik gemietet, aber der ist weder am Angeln noch am Saufen oder Vögeln interessiert.

Für ihn ist der See nach einer Verzweiflungstat der letzte Fluchtpunkt, hier meditiert er über seine Schuld und versucht schließlich, sich das Leben zu nehmen. Aber Hee-Jin, die allwissend über ihre Kammern im See zu herrschen scheint, hindert ihn daran, und langsam entwickelt sich zwischen ihnen eine Beziehung, die von Schmerz, Leidenschaft und Blut nur so zu tropfen scheint.

„Seom – The Isle“ ist ein merkwürdiger Film: stilistisch fast abstrakt und streng. Man merkt, dass Regissseur Kim Ki-Duk von der Malerei kommt und dass seine vorherigen Filme experimentalistische Low-Budget-Produktionen waren. Dieser formalen Reinheit steht nun die zum Teil extreme Gewalt gegenüber, die der Regisseur in seinen Bildern zeigt. Der Film wird streng logisch an Metaphern wie der Insel, dem Boot oder der Angel entlang erzählt, aber Kim Ki-Duk gibt diesen Objekten auch ein sehr intensives Eigenleben, eine Aura. Tierfreunde sollten diesen Film vielleicht besser meiden (so wird genau gezeigt, wie Sushi aus einem lebenden Fisch herausgeschnitten und dieser danach wieder ins Seewasser ausgesetzt wird), und die Angelhaken verhaken sich nicht nur in Fischmäulern, sondern auch in menschlichem Fleisch.

Ein wenig erinnert diese Mischung aus Kunst und Schockeffekten an die früheren Filme von Peter Greenaway, in denen ja auch höchst artifiziell mit der Faszination des Ekels gearbeitet wurde. Wie Greenaway kann Kim Ki-Duk mit der Kraft seiner Bilder fesseln. Und er führt uns in eine sehr fremde Welt, in der Liebe nur in Verbindung mit Schmerz, Sex nur zusammen mit Gewalt, Friede nur in der Leere möglich ist.

Auf der diesjährigen Berlinale zeigte Kim Ki-Duk seinen neuen Film „Bad Guy“, und auch dort dreht sich alles um Prostitution, Vergewaltigung, Schmerz und Brutalität. In beiden Filmen bleibt es ein Geheimnis, was die Protagonisten so eng und schließlich tragisch aneinander bindet, und man schaut gefesselt auf diese Dramen, die in ihrer radikalen Amoralität fast schon absurd wirken.

Hee-Jin und Yun-Shik kommen uns nie wirklich nah, denn Kim Ki-Duk macht kein Gefühlskino (das wäre wohl auch unerträglich), aber man kann sich dem abseitigen Reiz des Filmes kaum entziehen. Er ist virtuos fotografiert und montiert, hat eine ganz eigene, kalte Schönheit und endet mit einem Zitat aus Tarkowskijs „Solaris“, das „Seom“ entgültig als eine zum Alptraum geronnene Männerfantasie offenbart: Die Frau wird zur Landschaft, in der der Mann herumirrt: Insel und See sind weiblich und er verschwindet darin.

Wilfried Hippen

„Seom – The Isle“ läuft in der Originalfasssung mit Untertiteln von heute bis Sa. um 20.30 Uhr und So. bis Di. um 18.30 Uhr. Zu sehen im Kino 46.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen