piwik no script img

Kriminelle als Verbündete

Die Strategie des Pentagons, in Afghanistan die Truppen von Warlords für sich kämpfen zu lassen, verschärft die lokalen Machtkämpfe und bereitet den Boden für neue Verbrechen

von SVEN HANSEN

In den ostafghanischen Provinzen und Subprovinzen Paktia, Khost und Paktika tobt ein tödlicher Machtkampf zwischen paschtunischen Warlords, seit die Taliban im November die Macht verloren. Der Machtkampf in der wegen Schmuggelgeschäften einträglichen Grenzregion wird angeheizt durch die Unterstützung, die Kämpfer einheimischer Warlords von den USA erhalten, um gegen al-Qaida und die Taliban zu kämpfen. Die Aufrüstung durch die USA nutzen die Warlords, die sich jetzt mit zum Teil offiziellen Titeln schmücken, um mit ihren Rivalen alte Rechnungen zu begleichen und die eigene Macht auszubauen.

Zuletzt wurde am Sonntag ein Leibwächter des Khoster Kommandanten Sur Gul getötet, als Kämpfer eines mit den US-Truppen verbündeten Rivalen das Feuer auf Gul eröffneten. Die Angreifer seien auf ein von den US-Truppen kontrolliertes Gelände geflohen, behauptete Guls „Geheimdienstchef“ Hasratuddin gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Der Angriff sei die Vergeltung dafür, dass Gul am Vortag versucht habe, Kämpfer entwaffnen zu lassen. Treffen die Angaben zu, wäre die Schießerei ein Zeichen dafür, dass Warlords ihre Verbindung mit den USA als Freibrief nutzen, ihre Interessen rücksichtslos durchzusetzen.

Erst am Donnerstag zuvor gab es in Khost eine Schießerei mit vier Toten. Auslöser war der Tod eines Gefolgsmanns des Khoster „Polizeikommandanten“ Mohammad Mustafa an einer Straßensperre. Dort hatte ein Kämpfer des Warlords Patscha Khan Sadran auf Mustafa geschossen, worauf es zu weiteren tödlichen Schüssen zwischen deren jeweiligen Anhängern gekommen sei.

Ein Teil der Stadt Khost wird von dem mit den USA verbündeten Patscha Khan Sadran kontrolliert. Dessen Truppen bekämpfen nicht nur rivalisierende Warlords, sondern tragen auch untereinander ihre Machtkämpfe gewaltsam aus. Khost ist heute in Sektoren rivalisierender Gruppen geteilt. Deren Kämpfer sichern, hinter Sandsäcken und Granatwerfern verschanzt, ihre Einflussgebiete.

Für ihre Operation Anaconda in den Bergen südlich von Khost heuerten die USA hunderte einheimische Kämpfer an, die sie von mit ihnen verbündeten Warlords wie Patscha Khan Sadran rekrutierten. Jeder Kämpfer bekam 200 US-Dollar, einen militärischen Crashkurs sowie Munition und Verpflegung.

200 Dollar sind in Afghanistan viel Geld, zumal viele Kämpfer seit Monaten nicht bezahlt wurden. Für Washington ist es ein Spottpreis, der nicht einmal den Überführungskosten der Leiche eines US-Soldaten in die Heimat entsprechen dürfte. Für das Pentagon ist es innenpolitisch wichtig, die US-Verluste gering zu halten, während afghanische Verluste in den USA nicht zählen. Für afghanische Kämpfer sprechen auch deren Landeskenntnis und das von ihnen vermittelte Bild, dass der Krieg auch Sache der Einheimischen ist.

Schon bei der Schlacht um die Berg- und Höhlenfestung Tora Bora im Dezember erfuhren die USA allerdings auch die Nachteile, die das Einspannen dort ansässiger Warlords mit sich bringt. Denn diese machten mit den belagerten Taliban- und Al-Qaida-Kämpfern eigene Deals, so dass viele entkommen konnten. Bei der Schlacht um Schahi Kot in der Provinz Paktia in der ersten Märzhälfte setzte das Pentagon deshalb mehr eigene Kräfte ein. Das bescherte den USA die bisher höchsten Verluste.

Doch die USA rekrutierten auch über tausend Kämpfer aus der zwischen verfeindeten Clans und Stämmen zersplitterten Region. Dabei denunzieren die Warlords ihre Rivalen bei den US-Truppen als Taliban- und Al-Qaida-Angehörige. Schillerndstes Beispiel hierfür ist der erwähnte Patscha Khan Sadran. Seine Gegner werfen ihm vor, im Dezember US-Militärs absichtlich falsch informiert zu haben. Das führte zu einem US-Bombenangriff auf einen Konvoi von Stammesführern, die zur Amtseinführung der Interimsregierung nach Kabul unterwegs waren. Zwölf Menschen starben.

Patscha Khan versuchte auch gewaltsam, die Macht in Khost und Paktia (siehe taz vom 6. Februar) zu übernehmen. Er und seine Anhänger wurden jedoch mit Waffengewalt aus den Provinzhauptstädten getrieben, nachdem sie diese angegriffen hatten. In Gardes starben dabei 45 Menschen. Dabei war Patscha Khan sogar Ende Januar von der Interimsregierung zunächst zu Paktias Gouverneur ernannt worden. Nach den von ihm inszenierten Kämpfen entzog ihm die Regierung aber das Amt und setzte einen neuen Gouverneur ein. Jetzt dürften die USA mit ihrer Aufrüstung dafür gesorgt haben, dass Patscha Khan noch lange keine Ruhe gibt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen