: Debatte um innere Sicherheit ist Wahlkampfthema
Der Täter entspricht überhaupt nicht dem Tätertyp, mit dem Stimmung für innere Sicherheit gemacht wird. Aber die Tat wird Folgen für das öffentliche Leben der Republik haben
PARIS taz ■ Der Schütze von Nanterre kommt aus der Mittelschicht. Er hat eine Universität besucht, er hat im Staatsdienst – als Aufseher an einer Schule – gearbeitet, sich an zahlreichen politischen Aktivitäten – zuletzt bei den Grünen – beteiligt und ist mit seinen 33 Jahren längst kein Jugendlicher mehr. Die Motive seiner Tat sind, soweit bekannt, rein persönlich. Vieles weist darauf hin, dass da einer durchgedreht ist – auch wenn er auf die Tat sorgfältig vorbereitet war.
Insofern hat das Massaker von Nanterre wenig gemein mit der Debatte über die innere Sicherheit, die gegenwärtig im Mittelpunkt des Präsidentschaftswahlkampfs steht. Denn dabei geht es um einen anderen Typ von Straftäter. Er ist meist männlich, jung, oft minderjährig, begeht vor allem Eigentumsdelikte, stammt aus sozial schwachen Verhältnissen und ist häufig Nachfahre von Einwanderern.
Fast alle Anwärter für das Präsidentenamt, das im Mai neu besetzt wird, wollen künftig eine verstärkte Law-and-Order-Politik betreiben, um gegen den Anstieg der Straffälligkeit anzugehen. Damit treffen sie einen sensiblen Nerv ihrer Landsleute. Die Veröffentlichung der Straftatsstatistiken für das Jahr 2001 gab ihnen zusätzlichen Rückenwind. In dem vom Innenministerium herausgegebenen Dokument war von mehr als 4 Millionen registrierten Straftaten die Rede. Auch wenn Experten darauf hinweisen, dass ein beträchtlicher Teil dieser Straftaten in den Vorjahren schlicht nicht angezeigt wurde – u. a. weil es weniger Nahbereichspolizisten gab und weil die Sensibilität vor allem für sexuelle Straftaten in den vergangen Jahren gestiegen ist –, war damit doch eine symbolische Schwelle überschritten.
Außer dem Kommunisten, den drei TrotzkistInnen und dem Grünen wollen alle anderen Präsidentschaftskandidaten künftig zusätzliche Polizisten engagieren, wollen die Zusammenarbeit der verschiedenen uniformierten Corps verstärken, wollen mehr geschlossene Anstalten für straffällig gewordene Minderjährige einrichten und die Sanktionen gegen die Eltern von straffällig gewordenen Minderjährigen verstärken. Am rechtsextremen Rand ist zusätzlich die Rede von Herabsetzung der Strafmündigkeit und – wie bei der Front National seit Jahren üblich – von der Wiedereinführung der Todesstrafe.
Hinzu kommt die Frage nach der Möglichkeit, demokratische Veranstaltungen wie Gemeinderäte und andere parlamentarische Sitzungen zu schützen. Frankreich hat 36.000 Gemeinderäte. Ihre Sitzungen sind vielerorts gut besucht. Bereits gestern meldeten sich vereinzelte Politiker zu Wort, die verlangten, dass künftig am Eingang von Rathäusern Sicherheitskontrollen stattfinden und Metalldetektoren installiert werden müssten. Auch in den beiden Kammern des Parlaments dürfte das Massaker die Frage nach Sicherheitsvorkehrungen verstärken. Nanterre hat gezeigt, wie verwundbar nicht nur Personen, sondern Systeme öffentlichen politischen Lebens überhaupt sind.
DOROTHEA HAHN
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