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Sein Name ist Hase

Er ist Dauerobdachloser, Anpassungskünstler, Fluchttier. Am liebsten frisst er Wildkräuter und Klee, und er rennt in drei Sekundenvon null auf siebzig. In jungen Jahren gibt er einen schönen Braten

von MANFRED KRIENER

Als possierliche Erscheinung war er schon immer ziemlich beliebt. Weil er sich rapide vermehrt und nach dem Winter als erstes Tier seinen Nachwuchs in die Welt setzt, wurde der Hase zum Symbol der Fruchtbarkeit. So einer darf dann an Ostern sogar gattungsfremde Eier ausliefern. Rein kulinarisch betrachtet, war der Hase ein eher umstrittenes Geschöpf. Den Juden gilt das Fleisch des Langohrs als unrein. Die alten Griechen verbreiteten Schreckensnachrichten, wonach Hasenfleisch die Ursache für Schlaflosigkeit sei. Im Mittelalter wurde die Hasenkeule als „säfteverderblich“ und „Melancholie erzeugend“ verachtet. Nur die römischen Cäsaren glaubten fest daran, dass Hasenfleisch schön mache.

Heute ist zumindest in unserem Kulturkreis unumstritten, dass der Hase einen wohlschmeckenden Wildbraten abgeben kann, wenn der Koch sein Handwerk versteht und das Tier nicht allzu betagt ist. „Berghasen“, schreibt Waverley Root in ihrer Enzyklopädie der kulinarischen Köstlichkeiten, „gelten als wohlschmeckender als ihre Verwandten im Tiefland, was daran liegen kann, dass die ihnen zur Verfügung stehenden Gräser aromatischer sind als die Nutzpflanzen, von denen sich der Flachlandhase ernährt.“ Root ist es auch, die vehement gegen das Abhängenlassen von Wildhasen zu Felde zieht. Das sei blanker Unsinn, weil die Natur dem hocharomatischen Hasen und seinem dunkelroten Fleisch schon alles mitgegeben habe.

Ohne Reifung, frisch geschlachtet, wird manchmal auch der „Dachhase“ gegessen, eine Gattung, die vor allem in Kriegs- und Hungerzeiten verspeist wurde. Dachhasen sitzen, wie der Name schon sagt, gerne auf Dächern und Bäumen und gehören streng genommen zur Gattung der Hauskatze. Als Notspeise machte diese Spezies aber unter dem Namen „Dachhase“ Karriere und muss deshalb an dieser Stelle Erwähnung finden. Eine stark gepfefferte Sauce verdeckt eventuelle geschmackliche Irritationen. In Vietnam gelten Katzen seit langem als Delikatesse. Die 1996 wegen einer großen Rattenplage nördlich von Hanoi eingeführten 24.000 Katzen waren binnen einem halben Jahr wieder verschwunden.

Zu den weit scheußlicheren kulinarischen Angewohnheiten gehörte der aus früheren Jahrhunderten unter hohen Kirchenfürsten übliche Brauch, während der Fastenmonate trächtige Hasen oder Kaninchen zu schlachten und ihre Jungen zu verspeisen. Da sie noch im Fruchtwasser geschwommen waren, wurden sie gemäß christlicher Gebrauchsethik kurzerhand zu „Fischen“ deklariert und fielen damit nicht unter das strenge Fastenregiment. Auch außerhalb der Fastenmonate galten Hasenföten als Delikatesse. Plinius rühmte die besonders zarten, „aus dem Mutterleibe geschnittenen Jungtiere“.

Heute hat der Hase ganz andere Sorgen: Meister Lampe ist seine sprichwörtliche fast karnickelartige Vermehrungsrate abhanden gekommen. Seitdem wird er intensiv beforscht, mittels „Scheinwerfertaxationen“ regelmäßig in seinem Habitat gezählt. 1998 setzten ihn die Naturschützer auf die rote Liste, im vergangenen Jahr wurde er von der Schutzgemeinschaft Deutsches Wild zum „Tier des Jahres“ gekürt.

Die Rückgänge bei der jährlichen Hasenjagd belegen eindrucksvoll die Gefährdung des schönen Tieres. Im Königreich Preußen wurden jährlich rund zweieinhalb Millionen Hasen geschossen. In der Saison 1974/75 waren es in Westdeutschland noch 1,33 Millionen, in der Saison 1998/99 wurden gesamtdeutsch nur noch 446.000 Hasen zur Strecke gebracht und zirka vierzigtausend von Autos überfahren. Immerhin: Die Extensivierungsprogramme in der Landwirtschaft mit brachliegenden Wiesen und Äckern tun dem Hasen gut. Im vorigen Jahr sollen die Populationen in dreizehn von sechzehn Bundesländern wieder etwas zugelegt haben, berichtet Natur und Kosmos.

Vor allem der Rückgang seiner geliebten Wildkräuter und die stickstoffgemästeten Felder und Wiesen haben dem Hasen zugesetzt. Als Steppentier braucht er ausgesprochen stickstoffarme Kost. Das häufige Mähen der Wiesen im Vierwochenrhythmus wird den Jungtieren zum Verhängnis, die immer wieder zwischen die Mähmesser geraten. Dazu kommt der so genannte Ernteschock, wenn im Herbst die Felder fast gleichzeitig abgeerntet werden. Womöglich hat auch die nach der erfolgreichen Tollwutbekämpfung gewachsene Fuchsmeute ihren Anteil am Hasentod. Jetzt versucht man, mit entlang von Feldern und Wiesen eingesäten kleinen Kleestreifen – der Lieblingskost des Hasen –, die Population der Langlöffel wieder aufzupäppeln. Eine Untersuchung in Hessen zeigt, dass die großen Kleefelder in den letzten zwanzig Jahren von 6,1 auf 0,7 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche zurückgegangen sind. Eine andere Leibspeise des Hasen, die Luzerne, hat ebenfalls stark abgenommen.

Das Wiener Appetitlexikon von 1894 erklärt den Hasen zum „allerseltsamsten Geschöpf unter der Sonne“. Was sei von einem Tier zu halten, fragen die Autoren, dessen Ohren „Löffel“, dessen Augen „Lichter“, dessen Haare „Wolle“ und dessen Beine „Läufe“ heißen? Trotz dieser ungewöhnlichen Nomenklatur schätzen die Verfasser den Hasen als zwar „braven, aber schmackhaften und gesunden Braten“. Sie raten zum „Dreiläufer“, einem drei, höchstens vier Monate alten Hasen, dessen Alter Sie an jener Hautfalte ablesen können, die sich „beim Auseinanderziehen der Löffel auf dem Kopfe“ bildet.

Anders als der Hase konnte das Kaninchen nur schwer Eingang in die feine Küche finden. Vielleicht lag dies an der Bevölkerungsexplosion der Hoppler, die in vielen Regionen der Welt zur Landplage wurden. Einem Schädling verleiht man ungern kulinarische Weihen, erst recht, wenn man ihm mit Gift zu Leibe rückt. Die Wertschätzung hat sich inzwischen aber geändert, vor allem dank des mediterranen Einflusses. Spanier, Italiener und Franzosen mochten das helle Fleisch der Kaninchen schon immer. Geschmacklich ist das Wildkaninchen vom Hauskaninchen oder Stallhasen übrigens weit entfernt. Leider sieht man es nur selten auf Märkten und in Metzgereien. Doch auch der einfache Kaninchenbraten vom Stallhasen ist eine Sünde wert.

Allerdings werden auch Kaninchen heute in Betonhallen in riesigen Besatzgrößen gehalten. Die Tiere beißen sich gegenseitig in die Ohren und zeigen Verhaltensstörungen, wie sie in der beengten industriellen Massentierhaltung üblich sind. Wer also einen Kaninchenzüchter in der Nachbarschaft kennt, sollte immer mal wieder vorbeischauen, ein wenig Löwenzahn und Breitwegerich mitbringen, den Glanz des Haarkleids und die feine Zeichnung der Tiere loben und gelegentlich mit treuem Bonoboblick um einen Braten betteln. Fünfzehn Euro sind dafür nicht zu viel bezahlt, auch wenn Waverley Root höhnt, dass „die Kaninchen der Deutschen wie gebratene Katzen schmecken“.

MANFRED KRIENER, 48, schreibt als freier Journalist gern über Gift, Atommüll, Landwirtschaft und andere multiple Nekrosen. Neuerdings Chefredakteur des Slow-Food-Magazins

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