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In Demuth nach unten

■ Nach dem 2:4 gegen 1860 spricht alles gegen die Bundesligatauglichkeit des FC St. Pauli

Wer Dietmar Demuth nach dem Abpfiff im Innenraum des Münchner Olympiastadions beobachtete, brauchte nicht mehr auf die Tabelle zu schauen, um zu wissen, was die Stunde geschlagen hatte. Völlig fassungslos sog der Trainer an seiner Zigarette, den Blick gesenkt, und schüttelte den Kopf. Damit strafte er Jochen Kientz Lügen, der kurz zuvor behauptet hatte, dass „rechnerisch noch was geht“.

Etwas realistischer war da schon Nico Patschinski, der nachdenklich von dannen zog. Nein, eigentlich wisse er auch nicht, wie der Klassenerhalt bei sieben Punkten Rückstand noch zu bewerkstelligen sei. Dabei hatte der FC alles andere als schlecht gespielt - etwa eine Stunde lang waren die Hamburger gar das zielstrebigere und gefährlichere Team, das die von Thomas Häßler katastrophal gestellte 60er-Abwehr von einer Konfusion in die nächste stürzte.

Dass trotz einer gelb-roten Karte für den 60er Markus Weissenberger dabei nur zwei Tore (Rahn, 38./Patschinski, 55.) heraussprangen, wurde auch am Samstag nachmittag wieder als einziger Indiz für die fehlende Klasse der Braun-Weißen bemüht. „Wir haben wie üblich unsere Chancen nicht verwertet“, zeigte Demuth, dass eine Zustandsbeschreibung noch lange keine Analyse ist. Immerhin übersah er dabei, dass er durch einen fatalen Wechselfehler selbst daran schuld war, dass der eingewechselte Löwe Martin Max innerhalb von dreizehn Minuten aus einem 1:2-Rückstand einen 4:2-Sieg machen konnte. Dabei war der entscheidende Fauxpas gar nicht einmal, dass er mit Henning Bürger erneut einen der ballsichersten Spieler vom Platz nahm. Schicksalhaft war eher, dass er mit Moudachirou Amadou einen Spieler einwechselte, der in diesem Jahr über ein paar Kurzeinsätze nicht hinausgekommen ist- eine sowohl taktisch als auch psychologisch schwer nachvollziehbare Entscheidung, schließlich war damit an eine mutig aufspielende Mannschaft das Signal ausgegeben, nunmehr wieder den defensiven Angsthasenfußball zu spielen, der das Team auswärts während der gesamten Vorrunde, zu braven Punktelieferanten gemacht hatte, obwohl St. Pauli mit einem Mann mehr dem Feld agierte. Eine noch schlimmere Folge war, dass ab diesem Moment der vierte 60er-Stürmer Markus Schroth auf der nun verwaisten linken Hamburger Seite absolute Narrenfreiheit hatte, während der bemitleidenswerte Amadou nie den Eindruck erweckte, als wisse er, warum er auf dem Platz sei. Mal stürmte er unmotiviert nach vorne, mal köpfte er einen verunglückten Flankenball zur Ecke, ohne dass irgendein Münchner auch nur in der Nähe des Geschehens gewesen wäre. Und so blieb das Schlußwort von Kapitän Holger Stanislawski einmal mehr unwidersprochen: „So steigt man ab.“

Zumindest aus ästhetischer Sicht kann man dieser Perspektive im Übrigen durchaus etwas abgewinnen, sind dann doch Fahrten ins Münchner Olympiastadion obsolet: In keinem anderen Stadion ist die Dj-Ötzifizierung der Stadionbeschallung so fortgeschritten, bei keinem anderen Verein wäre man stolz darauf, aus einem sympathischen volkstümlichen Verein einen gesichtslosen Bayern-Klon gemacht zu haben.

Mag sich Edmund Stoiber noch so viel Mühe geben, das Bild vom grobschlächtigen, faschistoiden Bajuwaren zu relativieren - beim Anblick der 1860er Führungsriege weiß man wieder, warum man seine jahrzehntelang gehegten Feindbilder so lieb gewonnen hat. Einen wie Löwen-Coach Peter Pacult, der „aus einer kommunistisch geprägten Arbeiterfamilie“ kommt, sich nicht für Politik interessiert, aber findet, dass „Haider ein netter Kerl“ ist, wird man in der Zweiten Liga jedenfalls nicht vermissen.

Dass der Mann, der in seinem ganzen Körper , geschweige denn Kopf nicht so viel Feingefühl hat wie Häßler im linken Fuß, es sich aber leisten konnte, letzteren als Libero aufzustellen und ihn damit seiner Stärken zu berauben, spricht für sich. Und gegen die Bundesligatauglichkeit des FC St. Pauli. Max Ullmann

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