Irgendwie sehen heute alle Pferde gut aus

Auf Tuchfühlung mit kleinen Männern, dampfenden Nüstern und dem Totalisator. Ein Osterspaziergang auf der Galopprennbahn in Hoppegarten

„Bei diesen Gäulen leg ick doch keene müde Mark uffm Tresen, sone Klepper“

Wir fahren vom Fernsehturm aus schnurgerade in Richtung Osten. Endlose Plattenbauten säumen den Weg. Wir lassen das Cafe „Galaxy“ links liegen, verirren uns in einem leblosen Gewerbepark, stoßen auf die Discothek „Kontrast“ und nur Minuten später auf die Rennbahn. Wir haben uns vorbereitet und Alfred Kerr gelesen, um etwas über das ferne Universum überbordernder Hutmode und elitären Turfsports zu erfahren. Doch wie wenig mondän, bizarr, verwegen, aufgetakelt ist dieses Publikum in Dahlwitz-Hoppegarten. Immerhin sind 17.000 zur Saisoneröffnung gekommen.

Auf den Köpfen der Damen sitzen keine Boleros mit üppigen Nistplätzen, von Florentinerhüten mit meterlangem Federschmuck fehlt jede Spur. Dagegen tragen betagte Ausflügler ihre weißen Gesundheitsschuhe auf. Die Klassenunterschiede sind minimal und daran festzumachen, ob sich die Familie samt Balg mit den Animiermädchen der Deutschen Post zu einem Erinnerungsfoto gruppieren lässt. Die gelben Werbebanner des Geldgebers prangen überall an den ziegelsteinernen Gebäuden der Rennbahn. Wir würden am liebsten ein Paket aufgeben, doch wir haben an diesem lauen Ostersonntag anderes vor: wetten.

Mit diffuser Wettlust schlendern wir übers Gelände. Andere gehen zielgerichtet vor. Mit Jagdeifer beugen sie sich über die Fachzeitschriften und vertiefen sich in die Programme. Ihre Ferngläser tragen sie wie Pistolen im Halfter.

Der Wettschein sagt uns zunächst wenig. Begriffe wie Dreierwette, auf Sieg, auf Platz umschwirren uns und lassen sich glücklicherweise kurze Zeit später im Wortschatz nieder. Peter Boenisch steht unverhofft im dunkelblauen Zweireiher neben uns und spricht in eine Kamera hinein. Seinen Mantel im Stil kaukasischer Viehhirten hat er abgelegt, wohl, um telegener zu wirken. „Ohne Risiko geht gar nichts“, sagt Boenisch, Chef des Union-Klubs, der die Rennbahn betreibt. Wir nehmen den Ratschlag des alten Boulevardkämpen dankbar auf und spazieren zum Vorführring, denn wir brauchen schließlich ein paar Anhaltspunkte, um auf das richtige Pferd zu setzen.

Wir schauen auf die Festigkeit der Fesseln, propere Hinterteile, auf die muskulöse Oberschale, aber all diese Pferde sehen irgendwie gut aus. Keines hinkt, lahmt oder gibt sonst einen Hinweis, es nicht für den Sieg in Betracht zu ziehen.

Wer sind denn die kleenen Männa da, plärrt ein Kind. Die Jockeys, miesepetert der Vater. Das hätten wir auch noch gewusst. Auf welches Pferd aber sollen wir setzen, fragen wir uns und begehen den Kardinalfehler hilfloser Wettnovizen. Wir nehmen einen Artikel der B.Z. zur Hand, in dem alle Favoriten aufgelistet werden. „Fascinating Cut“ auf Platz, so lautet unser Tipp im ersten Rennen für „3-jährige sieglose Pferde“.

Fünf Euro ist uns die braune Stute wert. Fascinating Cut hat einen schlechten Tag oder sonst was. Jedenfalls wird der Klepper nur Vorletzter. Während ein untersetzter Mann jubelschreiend zum Kassenhäuschen rennt, rücken wir die Niederlage nach Art von Fußballtrainern zurecht. Anfängerpech. Zu hartes Geläuf.

Die Zuschauer haben nun Blut geleckt und stürmen die Kassenhäuschen regelrecht. Lange Schlangen bilden sich. Später wird Peter Boenisch sagen: „Irgendwas in Hoppegarten fehlt immer.“ Diesmal sind es die Kassierer, die, mit dem neuen Wettsystem eh schon überfordert, auch noch die schnoddrigen Übergriffe der alteingesessenen Schiebermützen-Hippologen über sich ergehen lassen müssen.

Wir belauschen ein Gespräch am Führring. Einer, der den Eindruck erweckt, mit einem Hufeisen unterm Kopfkissen einzuschlafen, berlinert lauthals: „Bei diesen Gäulen leg ick doch keene müde Mark uffm Tresen, sone Klepper.“ Wir lassen uns nicht entmutigen und tun es trotzdem. Zweiter Versuch. Wieder sieglose Pferde. Diesmal vierjährige Versager.

Wir gehen um einen Euro runter, setzen dafür aber wagemutig auf Außenseitersieg. Dabei stützen wir uns zum zweiten Mal auf eine brüchige Krücke und wählen jenes Pferd aus, das die meisten Siegwetten einheimst. 614 für 10 – der Totalisator verspricht eine gute Quote. Das Frohlocken endet recht jäh. Denn die Nummer 10, „Intisar“, ein Dunkelbraunschimmel, wie wir staunend erfahren, schlägt sich im Feld der Nieten beschämend schlecht. Intisar galoppiert auf den drittletzten Platz.

Wir falten die Wettscheine zusammen und die Hände zur Faust und lassen das Wetten sein. Auf der Heimfahrt, in Höhe der Discothek „Kontrast“, sagt einer, dass wir das nächste Mal bestimmt gewinnen. Bestimmt, sagen alle. MARKUS VÖLKER