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Noch mal! Noch mal!

Wo Theater noch echte Nestwärme bildet: Neues aus der russischen Emigrantenszene und von Schauspielerfamilien

Um die Integration der inzwischen auf etwa 500 Mitglieder angewachsenen mongolischen Community in Berlin zu fördern, versucht mein Kollege Dondog Batjargal ein „Informationsbüro“ zu eröffnen. In Seoul gibt es schon seit längerem solch eine Anlaufstelle für Mongolen. Allerdings sind die meisten dort Arbeiter, während hier hauptsächlich Studierende leben, die zu wenig Geld haben, um so etwas selbst zu finanzieren.

Geradezu vorbildlich hat sich die Infrastruktur der inzwischen über 100.000 Russen in Berlin entwickelt. Schon vor dem Zerfall der Sowjetunion kümmerte sich die Jüdische Gemeinde um ihre Integration, nach der Wende kam eine weitere Gemeinde sowie das Haus der Russischen Kultur und dort wieder der Club Dialog dazu. In diesem Verein wurden Beratung und Weiterbildung und Kultur über ABM finanziert. Ähnlich funktionierten verschiedene Frauenprojekte sowie die Discothek „Schalasch“ für russlanddeutsche Jugendliche. Selbstorganisiert ist dagegen Wladimir Kaminers „Russendisko“. Inzwischen gibt es sogar schon ein Forschungsprojekt – von Tsypylma Dariewa – an der Humboldt-Universität über die sich immer weiter ausdehnende Infrastruktur der russischen Emigrantenszene in Berlin, die dabei mit der von London verglichen wird.

Zu den Besonderheiten hier zählt die Zweiteilung: die so genannten Russlanddeutschen (Spätaussiedler) und die russischen Juden. Dazwischen gibt es noch kleinere Emigrantengruppen, unter anderem die Prostituierten aus der Ukraine und Russland.

Zur Infrastruktur zählen eigene Zeitungen. Seitdem der Finanzspezialist des sibirischen Generalgouverneurs Lebed, der Russlanddeutsche Werner, die Zeitungen Europa-Center und Ost-Express gekauft und dann zum Europa Express zusammengelegt hat, gibt es daneben bloß noch die Wochenzeitung Russkie Berlin des Rigaer Journalisten Feldman. Dieser fühlte sich neulich von einer Karikatur im Europa Express antisemitisch verunglimpft. Dennoch merkt er an seinen Abonnentenzuwächsen, dass die beiden Emigrantengruppen sich auch annähern.

Ähnliches lässt sich vom Jugendtheater „Katjuscha & Co“ sagen, das seit 1998 von der verdienten Schauspielerin Russlands, Katja Shulman, geleitet wird, zusammen mit ihrem Mann, dem Moskauer Regisseur Victor Shulman. Beide fühlen sich dem System „Stanislawski“ verpflichtet. Dieser hat einmal gesagt: „Das Theater muss eine Familie neuen Typs, ein Zuhause sein.“ Anfangs musste Katja als ABM-Mitarbeiterin des Clubs Dialog sich die Jugendlichen für ihr Theater noch quasi auf der Straße zusammensuchen. Aber inzwischen erstreckt sich dieses „kreative Integrationsprojekt“ inklusive Eltern und Großeltern auf gut 200 Personen – sowohl Russlanddeutsche als auch russische Juden.

Eine der Schauspielerinnen, Adelina Stößel, erklärte neulich der Berliner Morgenpost: „Für uns, die wir als Jugendliche aus der Sowjetunion erst seit drei bis vier Jahren in Berlin leben, und zum Beispiel aus Sibirien, Kamtschatka, Kasachstan oder der Ukraine kommen, ist das Projekt sehr wichtig. […] Roman drückt es so aus: ‚Das Theater hilft mir, die Bühne des Lebens zu betreten‘, und Julia meint: ‚Ich liebe die warmherzige Atmosphäre und die guten Freunde.‘ […] Seit November 1998 halten wir zusammen und bleiben der Kunst treu. Im November 2000 wurden wir bei den Köpenicker Jugendtheaterwochen mit dem 1. Preis ausgezeichnet.“

Die Gruppe hat sich vor zwei Jahren vom Club Dialog abgekoppelt und probt im Jugendkulturzentrum Pumpe. Anderthalb Jahre lang betreute Katja Shulman das Theater „Katjuscha & Co“ ehrenamtlich, während Victor einen Lehrauftrag am privaten Europäischen Theater-Institut fand. Nun bekommt das Ensemble Unterstützung vom Quartiersmanagement „Magdeburger Platz“ sowie vom „Projekt ‚Respekt‘ Neuköllner Arbeit“. Dazu wird Katja von dort über eine Arbeitsamtsmaßnahme gefördert. Dieses Integrationsprojekt ist das bisher einzige in Neukölln, das sich für russischsprachige Kinder, Jugendliche und Familien engagiert.

Mitte März gab es mit „Tschechows Kurzgeschichten“ in der Pumpe ein Vorspiel. Anlass war der Besuch einer Jury des 23. bundesweiten Wettbewerbs „Schüler und Schülerinnen spielen Theater“ für ein Berlin-Festival unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. Zuvor hatte die Jury von 160 Berliner Theatergruppen zwanzig ausgewählt, die noch einmal etwas spielen und dann darüber auf Deutsch mit ihnen diskutieren sollten. Katja Shulman erzählte anschließend: „Meine Leute haben sehr, sehr klug geantwortet, ich war so stolz auf sie!“

Das Ensemble hat 23 junge Mitglieder zwischen 11 und 30 Jahren, ihre Sängerin Olga Bark ist inzwischen bereits Mutter zweier Kinder, und die im Tschechow-Stück als Kater auftretende Rita Breitkreiz studiert seit kurzem an der Theaterschule „Ernst Busch“.

Auch beim nächsten Stück will das Theater „Katjuscha & Co“ wieder mehrere kurze Geschichten – diesmal von Saint-Exupéry – zu einer Revue zusammenfassen. Bei denen von Tschechow handelte es sich um sehr frühe Erzählungen, die teilweise unter Pseudonym zuerst in Zeitungen erschienen. Die Gruppe hat daraus nun „echtes, gutes Theater“ gemacht, wie ein Kritiker das nach der Premiere nannte. Mir haben daran außerdem die Regie- und Bühneneinfälle sowie die Schnelligkeit gefallen: die 70 Minuten waren im Nu um. Ein Kind im Zuschauerraum meinte sofort: „Noch mal!“

Inhaltlich, wie man so sagt, ging es dabei um „eine großzügige Seele aus bescheidenen Verhältnissen“, „die lästigen Umarmungen eines Generals“, „die Gesetze der Jugend“, „die Heirat einer Köchin“, um „Kutscherkapriolen“, „Katzenglück“ und „konsternierte Töchter“. HELMUT HÖGE

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