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Sozialhilfe-Betrüger vor dem Amtsrichter

■ Jahrelang überwies sich ein Mitarbeiter des Sozialamtes die Sozialhilfe für drei von ihm selbst erfundene Bedürftige – insgesamt fast 200.000 Mark

Der Trick war einfach, aber wirkungsvoll: Je rund 2.000 Mark Hilfe zum Lebensunterhalt und Mietkostenzuschuss monatlich zahlte das Bremer Amt für Soziale Diens-te (ASD) über Jahre hinweg an die „Sozialhilfeempfänger“ Monika Hinkel, Karl-Heinz Hölzenberg und Alfred Heuer aus. Das Problem dabei: Die drei Personen existierten nur auf dem Papier. Lutz W., inzwischen 58 Jahre alter Sachbearbeiter beim Sozialamt, hatte die „Fälle“ erfunden. Insgesamt 192.000 Mark ließ er so zwischen dem Dezember 1995 und Juli 1999 in seine eigenen Taschen fließen. Dann flog der Betrug auf. Gestern verurteilte das Bremer Amtsgericht den inzwischen frühpensionierten Beamten zu zwei Jahren Gefängnis – auf Bewährung.

Sonderlich großen Aufwand musste der ASD-Mitarbeiter für den Schwindel nicht betreiben: W. schrieb die Sozialhilfe-Anträge für seine „Fälle“ und legte eine Akte für die fiktiven Leistungsempfänger an. Der Computer errechnete die Höhe der Stütze, ein paar weitere Klicks auf dem Computer und schon flossen monatlich rund 2.000 Mark. „Ich habe das nur eingegeben, der Rest lief automatisch“, erklärte W. dem Gericht. Eine Kontrolle gab es nicht.

„Keine einzige Akte ist kontrolliert worden, weder bei mir noch bei den anderen Mitarbeitern“, sagte der Angeklagte zu seiner Entlas-tung. Im Sozialamt herrscht faktisch das „Zwei-Augen-Prinzip“, fasste Richter Hartmut Hogenkamp verwundert zusammen. Als 1997 der Zimmernachbar von W. wegen Scheckbetruges aufflog, wurden die internen Prüfvorschriften zwar verschärft. Die Kontrollmechanismen „wurden so aber nicht angewendet“, räumte ein Zeuge vom Amt ein. Die Mitarbeiter des Sozialamtes seien schlicht überlastet.

Selbst der Urlaubsvertretung von W. fielen die self-made-Akten nicht auf. Kein Wunder: Der zuständige Vertreter von W. war der Zimmernachbar, der selbst mit Schecks das Sozialamt betrogen hatte. Als 1999 die Buchstabenzuordnung der Sachbearbeiter einmal gewechselt wurde, konnte W. – wie alle seine Kollegen – selbst ausgesuchte „besonders schwierige Fälle“ behalten. Noch nachdem sein Kollege Scheckbetrüger aufgeflogen war, hatte W. seinen dritten fiktiven Sozialhilfe-Fall angelegt.

Erst als ein Mitarbeiter die Akte eines „echten“ Sozialhilfeempfängers suchte, fiel der Schwindel auf: W. hatte bestehende „echte“ Namen nur geringfügig verändert für seine „Fälle“. „Das war echt unprofessionell“, meint ein Mitarbeiter des Sozialamtes am Rande dazu.

Die ergaunerte Sozialhilfe gab W. zum größten Teil für seine Spielleidenschaft aus – es ist weg. Staatsanwalt Johann-Michael Gottschalk forderte eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren auf Bewährung, nachdem die Verteidigung zuvor signalisiert hatte, dass auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet würde.

Der inzwischen frühpensionierte W. verzichtet also darauf, diesen Tag noch ein paar Jahre hinauszuzögern. Damit wird das Urteil unmittelbar rechtskräftig, er wird seinen Beamtenstatus verlieren und damit seine Pension. Was das bedeutet, hatte er zuvor schon angedeutet: „Ich werde dann zum Sozialhilfeempfänger.“ Armin Simon

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