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Nahost in Neukölln

Militante Palästinenser-Sympathisanten überfallen eine Pro-Israel-Veranstaltung mit Messern und Steinen. Zwei Besucher werden verletzt, die Täter können entkommen

Nicht nur zwischen Israelis und Palästinensern werden die Gräber immer tiefer. Auch die linksradikale Berliner Politszene ist in der Frage, was die richtige Haltung zum Nahostkrieg ist, mehr als gespalten. Seit vorgestern wird die Auseinandersetzung auch gewalttätig ausgetragen. Ein mit Schlagwerkzeugen und Messern bewaffnete Gruppe hat am Mittwochabend versucht, das Neuköllner Lokal Orlando zu stürmen, in der eine Veranstaltung der Zeitschrift Bahamas zum Thema Solidarität mit Israel stattfand. „Es wurde nahtlos zum Angriff übergegangen. Diese Form der Gewalt ist neu“, sagt einer, der das Ganze mitverfolgt hat. Bei dem Überfall wurden zwei Personen verletzt, die Ladentür und eine Fensterscheibe gingen zu Bruch.

Bahamas ist eine antideutsche Zeitung, die sich dem linksradikalen Spektrum zugehörig fühlt, mit der Pro-Israel-Haltung aber eine Minderheitenposition vertritt. Eigentlich hatte die Veranstaltung in dem Szenetreffpunkt Kato am Schlesischen Tor stattfinden sollen. Nachdem es jedoch Hinweise gab, dass die Diskussion gestört werden sollte, wurde diese kurzfristig ins Orlando verlegt. Vor dem Kato hatten sich schon rund 30 Menschen postiert, die laut Zeugen „Juden raus“ riefen. Offenbar fand die Gruppe den neuen Diskussionsort schnell heraus.

Die Veranstaltung in dem von rund 70 Leuten gut besuchten Orlando in der Hobrechtstraße war in vollem Gange, als ein vorsorglich auf der Straße postierter Wachposten den Anmarsch einer Störergruppe meldete. Es gelang noch, eine Jalousie herunterzulassen, dann donnerten die Schläger mit Steinen gegen Tür und Fenster. Unter den Angreifern hätten sich neben einigen „Arabern“ auch „szenebekannte Deutsche“ befunden, sagen Augenzeugen. Einige seien mit Palästinensertüchern vermummt gewesen. Bei dem Handgemenge vor dem Lokal wurde ein Veranstaltungsbesucher durch einen Schlag auf den Arm verletzt, ein anderer erlitt einen Messerstich in die Hand. „Wir wurden als Rassisten beschimpft“ erinnert sich einer. Die Angreifer hätten „Zionisten sind Faschisten“ skandiert. „Dass der Hass in so eine Bedrohung mündet, macht Angst“, sagt ein anderer.

Als die Polizei am Tatort eintraf, hatte die Gruppe bereits das Weite gesucht. Ein Polizeisprecher bestätigte gestern mit dürren Worten: Eine Gruppierung von circa 15 „südländisch Aussehenden“ habe „ein Lokal angegriffen“, die Täter seien unerkannt entkommen.

Der Vorfall lässt Schlimmes befürchten. Heute Abend hat das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus im Kato eine weitere Veranstaltung geplant. Das Thema: „Mildernde Umstände für Selbstmordattentäter – zum antizonistischen Konsens in der deutschen Öffentlichkeit.“ Die Organisatoren äußerten gestern die Sorge, dass die Störer wiederkommen. Völlig unklar ist auch, was für einen Verlauf die Pro-Palästina und die Pro-Israel Kundgebungen und Demonstrationen am kommenden Wochenende nehmen werden. „Wir haben keine Hinweise auf Störungen oder geplante Gewalttaten, verbale Auseinandersetzungen sind aber nicht auszuschließen“, sagte die Sprecherin der Innenverwaltung, Henrike Morgenstern auf Nachfrage. Die Polizei werde vor Ort aber mit angemessenen Kräften vertreten sein.

P. PLARRE und M. POHL

Hintergrund SEITE 23

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