: Maria und der große Schlag der Polizei
Russischer Kampfeswille
Am 25. Juli 2000 entnahm die Berliner Presse dem Polizeibericht: „Wegen Menschenhandels nahm die Polizei eine Bordellbesitzerin in der Weddinger Eulerstraße fest. Die Frau kam in U-Haft. Kripo und Staatsanwaltschaft hatten längere Zeit gegen die 46-jährige Ukrainerin und mehrere weitere Verdächtige ermittelt. Bei der Großrazzia wurde umfangreiches Beweismaterial sichergestellt. Beamte des für Gewinnabschöpfung zuständigen Kommissariats haben bei den Durchsuchungen Geld und Wertgegenstände beschlagnahmt. Neben Menschenhandel wird der Ukrainerin Scheinehen-Vermittlung und die Beschäftigung illegaler Prostituierter vorgeworfen.“
Die 46-jährige Ukrainerin, Maria Kretschmir, erzählte es später so: Sie wurde damals zusammen mit ihrer älteren Schwester Nadja und ihrer 26-jährigen Tochter Valentina sowie weiteren Verwandten verhaftet und kam in das Frauengefängnis Lichtenberg. Die Polizei hatte sie und ihr Bordell immer wieder beobachtet, dann holte sie zum entscheidenden Schlag aus. Dazu brauchte sie „Beweise“.
Einige Zeit vor der Razzia kamen drei Frauen mit litauischem Pass in das Weddinger Etablissement „Cleopatra“. Sie baten um Arbeit. Maria befand sich zu der Zeit nicht in Berlin, ihre Mitbesitzerin Jacqueline erlaubte den Litauerinnen, dort anschaffen zu gehen. Frauen aus dem Baltikum können sich in Deutschland drei Monate lang visumfrei aufhalten, arbeiten dürfen sie jedoch nicht. Einige Zeit später tauchte auch noch eine Deutsche im Bordell auf; sie sah zwar etwas heruntergekommen aus, hatte jedoch ordentliche Papiere – und durfte ebenfalls bleiben.
Maria erwischte sie dann beim Durchstöbern von Geschäftsunterlagen und beim Hantieren mit weißem Pulver auf der Toilette. Bei den drei Litauerinnen fiel ihr ebenfalls eine übertriebene Neugier auf.
Nach der Razzia wurden 15 Frauen festgenommen, die meisten verweigerten die Aussage. Sieben sollten gleich abgeschoben werden. Die drei Litauerinnen und die Deutsche gaben zu Protokoll: 1. Körperverletzung – die Aufpasser des Ladens haben die Mädchen gezwungen, den Gästen zu Diensten zu sein; von den Einnahmen bekamen die Frauen 20 Mark, „ein Taschengeld“, 80 Mark mussten sie abgeben. 2. Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz: Auf den Zimmern und in der Toilette fanden Drogenverkäufe und -konsum statt. 3. Scheinehen-Vermittlung: Maria und ihre Tochter Valentina, die hinter dem Tresen arbeitete, organisierten gegen Bezahlung Hochzeiten mit deutschen Männern für die Frauen, die bei ihnen arbeiteten. 4. Menschenhandel: Marias weit verzweigte Familie verkaufte Frauen an Puffbesitzer in anderen deutschen Städten und im Ausland bis hin zu arabischen Emiraten. Umgekehrt hielten sie Kontakt zu osteuropäischen Schlepperbanden.
Maria weist all diese Vorwürfe zurück. Im Gegenteil, sie behauptet, dass die drei Litauerinnen, um nicht abgeschoben zu werden, einen Deal mit der Polizei eingingen, indem sie belastendes Material gegen Maria Kretschmir und ihr Unternehmen beschaffen sollten. Bei der Deutschen ist die Bordellchefin sich sogar sicher, dass sie der Polizei zugearbeitet hat. Nachdem im Anschluss an die Razzia die im Bordell arbeitenden Frauen ausländerrechtlich überprüft worden waren, kamen auch noch deren deutsche Ehemänner dran. Dies schüchterte einige der festgenommenen Frauen derart ein, dass sie „redeten“ beziehungsweise zugaben, eine Scheinehe eingegangen zu sein. Daraufhin sollten sie geschieden und ebenfalls abgeschoben werden. Bei Maria beschlagnahmte die Polizei 250.000 Mark und ihren Mercedes, die Konten ihrer Tochter und ihrer Schwester wurden eingefroren.
Anfang Januar 2002 wurde Maria Kretschmir nach über 30 Verhandlungstagen das Urteil verkündet: 4 Jahre Haft. Das Gericht hielt sie der Geldwäscherei und Steuerhinterziehung sowie der Vermittlung von Scheinehen für schuldig. Die Staatsanwältin, die Maria vor allem wegen organisierter Kriminalität und Menschenhandel verurteilen wollte, war geradezu entsetzt über das milde Urteil. An einem der Verhandlungstage hatte sie verkündet: „Ich werde alles tun, damit die Angeklagte und ihre Familie das Land verlassen.“ Nadja hat demnächst noch einen Prozess wegen Vermittlung von vier Scheinehen zu gewärtigen.
Marias deutsche Geschäftspartnerin Jacqueline, die mit angeklagt worden war, wurde nur zu einer Geldstrafe über 60.000 Mark verurteilt. Wieder auf freiem Fuß, verkaufte sie sofort das Etablissement „Cleopatra“ ohne Marias Zustimmung an einen türkischen Geschäftsmann. Von dem Erlös zahlte sie ihre Strafe.
Im Pankower Knast sitzt Maria derzeit noch immer in Einzelhaft. Ein weiterer Prozess wegen Körperverletzung kommt noch auf sie zu. Eine der drei Litauerinnen klagte Maria persönlich an, sie geschlagen und gequält zu haben. Maria meint, dass sie sich das aus Geldgier ausgedacht habe. Als ihre Schwester sie zuletzt im Knast besuchte, wirkte sie äußerlich zwar niedergeschlagen, „aber ihr russischer Wille, weiterzukämpfen, ist zum Glück ungebrochen“. LILLI BRAND
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