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Nach der Familie

Was ist die Familie wert? (4): Vater, Mutter, Kind – diese Lebensform ist bald passé. Statt sie zu subventionieren, sollte der Staat neue Projekte des Zusammenlebens fördern

Schenkte man sich die Geschenke an Spitzenverdiener, wäre viel Geld frei für bedürftige Kinder und Eltern

Ein Anachronismus beherrscht noch immer die Gesellschaft: die Familie. Zu ihrer Verteidigung haben sich gestern alle konservativen Kräfte im Bundestag zusammengeschlossen, allen voran CDU-Fraktionschef Friedrich Merz. Aber auch für Gerhard Schröder gilt: „Familien bilden das stabile Zentrum unserer Gesellschaft“ – wobei er immerhin Alleinerziehende mit einschließt.

Dass die Lebensform Familie allerdings längst nicht mehr so dominant ist, wie gestern oft behauptet, beweisen die Zahlen: 35 Prozent aller Haushalte werden nur von einer Person bewohnt, in den Großstädten sind es sogar 50 Prozent. In Bremen, Hamburg und Berlin sind die Familien eine Randgruppe. Gerade mal 17 bis 20 Prozent macht dort ihr Anteil unter den Haushalten aus. Von den in den vergangenen 30 Jahren geschlossenen Ehen sind bereits 40 Prozent wieder geschieden worden.

Doch gegenüber antiquierten Weltbildern lässt sich mit Fakten wenig ausrichten. Sie werden mit einer Vehemenz verteidigt, als handele es sich um Offenbarungen. Für die katholische Kirche ist die Ehe ein Sakrament. Wenn sie sittliche Normen für die Lebensführung entwirft, ist das ihr gutes Recht. Wenn aber ein Staat seinen Bürgern mit steuerlichen Sanktionen und finanziellen Anreizen eine bestimmte Lebensform aufzwingen will, sind die Grenzen der Aufklärung bald erreicht. Der laizistische Staat hat sich um die Privatsphäre seiner Bürger nicht zu kümmern. Ihn geht es nichts an, ob jemand in einer Familie lebt oder in einer Wohngemeinschaft, alleine oder mit seinem Hund in einem Bauwagen. Weder der eine noch der andere darf deswegen benachteiligt werden.

Der Staat hat vielmehr die Aufgabe, gleiche Rechte für alle zu garantieren. Die neue Homoehe ist auf diesem Wege gerade ein halbherziger Schritt. Und schon sehen Unionspolitiker „die Keimzelle der Gesellschaft“ in Gefahr. Das Grundgesetz gewährt Ehe und Familie einen besonderen Schutz. So ist es. Aber warum? Weil das Grundgesetz bereits 53 Jahre alt ist und seine Schöpfer verständlicherweise keine Vorstellungen von Alternativen hatten. Doch es hat sich vieles verändert. Und fast scheint es, als werde hier krampfhaft etwas geschützt, was im Grunde genommen immer mehr Menschen zuwider ist. Das erinnert an den weihnachtlichen Pflichtbesuch bei der zänkischen Schwiegermutter, den man nur deswegen macht, weil man den offenen Bruch fürchtet.

Statt immer weiter die längst obsolet gewordene Lebensform der Familie zu subventionieren, sollte der Staat, sofern er sich noch als Sozialstaat begreift, streng nach Einkommen und Bedarf seine Leistungen verteilen. Wer verheiratet ist, ist noch lange kein Sozialfall und bedarf nicht unbedingt einer Steuererleichterung. Wer hingegen alleine lebt und nur knapp über das Existenzminimum kommt, sollte nicht länger mit Steuerklasse 1 bestraft werden. Im Gegenteil: Singles müssen oft mehr Geld ausgeben als Partner in der Ehe, denn sie gehen der notwendigen Geselligkeit halber öfter in Kneipen und Diskos, besuchen Sportvereine und machen Fitness.

Auch Familien mit Kindern sind nicht per se Opfer der Gesellschaft. Es gibt arme Familien und sehr reiche. Benötigen Berufsmillionäre und Topmanager wirklich Kindergeld? Nicht die Familie muss unterstützt werden, sondern der jeweils konkrete Mensch – und das nur dann, wenn seine eigenen Einkünfte für ein menschenwürdiges Leben nicht ausreichen. Würde man die Geschenke an die familiären Spitzenverdiener abschaffen, dann wäre viel Geld frei, um wirklich bedürftige Kinder und Eltern zu unterstützen.

Klar, unter den heutigen Bedingungen ein Kind in die Welt zu setzen, ist nicht gerade leicht und in der Kleinfamilie kann es zur Hölle werden, besonders dann, wenn das Hausen in einer anonymen Mietwohnung dem Leben in einer Legebatterie immer ähnlicher wird. Dass die Kleinfamilie mit all den Problemen aus dem Job, dem Karriereknick, der hohen Miete, dem schlechten Kindergarten, der sexuellen Ernüchterung und neuerdings auch noch der privaten Altersvorsorge maßlos überlastet wird, dürfte einleuchten. Umso unverständlicher ist es, dass sich die Mehrheit unserer Gesellschaft zur Aufrechterhaltung dieses untauglichen Modells verbündet.

Da sich die Kleinfamilie trotzdem endlich verabschiedet und das Dasein als Alleinerziehende ebenfalls nicht der Weisheit letzter Schluss ist, sollte ein Blick über den Tellerrand gewagt werden. Dahinter liegt einiges, was in die Zukunft weist: Da sind alleine schon die Hunderte von Wohnprojekten in den Städten. Es sind Projekte, die gegen den Strom der Individualisierung neue Formen gemeinschaftlichen Lebens entwickeln. Da leben Familien, Singles und WGs, Jung und Alt, Gesunde und Behinderte unter einem Dach, verwalten ihr Haus, helfen sich gegenseitig und betreuen auch mal die Kinder der anderen.

Doch schon bei der Vergabe der städtischen Baugrundstücke fangen die Probleme an. Da geht das Verwertungsinteresse dem sozialen Bedarf vor. Wohngruppen müssen etwa in Hamburg nicht selten einige Jahre auf ein Grundstück warten. Auf dem Lande, gerade in Ostdeutschland, finden sich zahlreiche Landkommunen: Menschen, die jenseits der alten Familienstruktur gemeinsam leben, gemeinsam Kinder betreuen und füreinander einstehen – doch die werden von unserer Verfassung nicht geschützt. Einen rationalen Grund dafür gibt es nicht.

Das Grundgesetz schützt besonders die Ehe, weil sich keiner vor 53 Jahren anderes vorstellen konnte

Eines der erfolgreichsten Beispiele alternativer Lebensgemeinschaften ist die Sozialistische Selbsthife Köln-Mülheim: Seit vielen Jahren leben dort 20 Menschen, Akademiker und Handwerker, geistig Behinderte und ehemalige Junkies zusammen, arbeiten gemeinsam in ihren Betrieben und teilen sich den Erlös. Jeder steht für jeden ein. Ihre Lebensform ist auf Dauer und Verbindlichkeit angelegt. Doch anstatt sie mit Steuergeschenken für ihr soziales Engagement zu belohnen, versucht die Stadt Köln das Projekt mit einer Erhöhung der Grundsteuer um 800 Prozent innerhalb von 14 Jahren in den Ruin zu treiben.

So wird der Sozialstaat auf den Kopf gestellt: Nutzloses Ehegattensplitting und Kindergeld für Spitzenverdiener – während innovative Gemeinschaftsprojekte benachteiligt werden.

An sich hätte der Staat sich auch hier neutral zu verhalten. Doch da es auch zu seinen Aufgaben gehört, soziale Benachteiligungen auszugleichen, kann zu Recht vom Staat gefordert werden, neue kollektive Lebensmodelle steuerlich deutlich zu begünstigen und mit Zuschüssen zu fördern. Das ist ähnlich wie in der Energiepolitik: Nicht die alten und lobbystarken Auslaufmodelle Kohle, Öl und Atomkraft, sondern die neuen, kleinen, aber zukunftsweisenden Alternativen müssen gefördert werden, damit sie gegenüber der Übermacht der Anachronismen überhaupt eine Chance erhalten. Anstatt einer Familienpolitik brauchen wir dringend eine soziale Innovationspolitik, eine Politik, die Nachfolgemodelle für die Familie fördert. RAINER KREUZER

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