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Ich, ich, ich

Fotograf Andreas Herzau zeigt im Museum der Arbeit Formen der Selbststilisierung  ■ Von Karin Liebe

„Ich war hier“. Ein Spruch, tausendfach gelesen – an Bushaltestellen, Aussichtsplattformen, Brü-ckenpfeilern. Rührend, pubertär, narzisstisch und nervig im Versuch, sich der eigenen Existenz zu versichern. Auch im Gästebuch des Museums der Arbeit wird dieser Spruch inflationär benutzt. Dass er einem überhaupt auffällt, hängt mit der Ausstellung zusammen, die derzeit drei Stockwerke darüber gezeigt wird.

Nach dem Besuch der Schau Me, myself + I ist der Blick geschärft für jede Form von Selbstinszenierung. Denn Andreas Herzaus hier präsentierte Fotografien, zumeist großformatige Schwarzweißaufnahmen, zeigen allesamt Menschen, die ihre Identität durch äußere Symbole festigen wollen. Und das Verrückte ist: Je größer der Wunsch nach Abgrenzung, desto mehr verschwimmt de facto die Identität.

Herzau hat in den letzten zehn Jahren junge Menschen an völlig disparaten öffentlichen Orten ins Visier genommen: auf Techno-Veranstaltungen, bei Demonstrationen, in Discos, bei Modenschauen oder Sexmessen. Was allen Porträtierten gemeinsam ist: Sie inszenieren sich durch auffallende Kleidung, schrille Accessoires und Posen. Indem Herzau die Tattoos, Piercings, Ketten und Gürtel häufig in extremer Nahaufnahme zeigt, entindividualisiert er ihre Träger und verdeutlicht, wie Mode funktioniert: Aus dem Wunsch he-raus, etwas Besonderes zu sein, versteckt sich die Person hinter einer Maske, die viele teilen. Indem Herzau bei den Bildern oft die Augenpartie kappt, nimmt er den Personen zusätzlich ihre Individualität.

Trotzdem werden in den Nahaufnahmen auch persönliche Merkmale sichtbar – wenn auch nicht unbedingt im Sinne der Porträtierten. Der Punk mit dem Irokesenschnitt hat Pickel auf der Kopfhaut, auf dem gepiercten Glatzkopf rühren ein paar vergessene Haarstoppeln. Die Austauschbarkeit der Selbstinszenierungen verstärkt Herzau noch, indem er keine Bildunterschriften unter die Fotos stellt. Und bei Massenaufnahmen von Neonazis oder Autonomen wird oft nicht klar, welcher Gruppe die Demonstranten angehören.

Auch auf die Hängung hat Andreas Herzau besonderen Wert gelegt. Sie eröffnet Zusammenhänge, wo zunächst nur Unterschiede auffallen. Da hängt etwa das Foto eines Steine werfenden Castorfgegners neben dem einer Gogo-Tänzerin bei der Love Parade. Der Autonome versteckt sich in einer Uniform aus Jeans, Kapuzenpulli, Turnschuhen, die Tänzerin ent-blößt sich im knappen Bikini und durchsichtigen Netzmini. Was die zwei aber eint, ist das Moment der Bewegung als Selbstausdruck. Beide recken einen Arm hoch in die Luft: der Autonome, weil er gerade kraftvoll einen Stein in die Luft geworfen hat, die Tänzerin, weil sie sich in Pose setzt.

Keine Wertung liegt in all diesen Bildern, höchstens eine feine ironische Distanz ist zu allen Porträtierten zu spüren. An ein Stillleben erinnert etwa das Foto einer Hand, die aus vagem Dunkel leuchtet. Aus der maniriert verdrehten Innenfläche ragt ein leeres Glas hervor, zwischen Zeige- und Mittelfinger steckt eine Zigarette. Erst der Fotoindex verrät, wo und wann das Bild aufgenommen wurde: „Dorfdiskothek, Heinbockel, 1997“. Eine universell verständliche Geste eines coolen Typen, die genauso gut in Schanghai oder Paris hätte aufgenommen werden können.

Herzau, 1962 in Mainz geboren, gelernter Typograph und Schriftsetzer, kommt aus dem Journalismus. 1990 hat er sich endgültig für die Fotografie entschieden und als Reportagefotograf zahlreiche Preise gewonnen. Jenseits der Dokumentarfotografie hat er einen eigenen Stil entwickelt. Mancher mag sich bei all den Tattoos und Piercings an die Bilder der Amerikanerin Nan Goldin erinnert fühlen. Doch während Goldin ihre Zugehörigkeit zur alternativen Szene in jedem Foto spüren lässt, bleibt Herzau immer distanzierter Beobachter – egal, ob er Beine in Netzstrümpfen beim Christopher Street Day tanzen lässt oder ein Neonazi mit Hakenkreuzfrisur seine Freundin küsst. Auf dem Nachhauseweg sitzt ein Punk in der U-Bahn: Irokesenschnitt, St. Pauli-Abzeichen, diversen Piercings und Bierdose in der Hand. Welch eine Arbeit!

Museum der Arbeit, bis 11. August, Mo 1321 Uhr, Di-Sa 1017 Uhr, So 1018 Uhr

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