: Zu viele nationale Parolen schaden
aus Budapest KENO VERSECK
Ungarns am Sonntag abgewählter national-konservativer Regierungschef Viktor Orbán zog im Wahlkampf am Ende alle Register, um seine Niederlage noch abzuwenden: „Gut und Böse“-Rethorik, „Ungarn über alles“-Parolen, versteckt antisemitische Hetze gegen die Sozialisten und die durch sie angeblich drohende Herrschaft des internationalen Groß- und Finanzkapitals.
Obwohl Orbán die Wahl knapp verlor, ist seine national-populistische Strategie teilweise aufgegangen. Eines der Ziele lautete, zur einzigen Partei zu werden, die von der rechten Mitte bis zum äußersten rechten Rand von allen gewählt wird. Nimmt man die Sitzverteilung im Parlament, so konnten die Jungdemokraten ihr Ergebnis im Vergleich zu 1998 um zehn Prozent steigern. Zu Gute gekommen ist ihnen zum einen, dass ihre früheren Koalitionspartner in die Bedeutungslosigkeit versanken und die Rechtsextremisten in Ungarn diesmal an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten. Zum anderen ist es Orbán in den letzten Jahren gelungen, die ungarische Gesellschaft zu polarisieren, eine breite Klientelordnung zu errichten und die Rolle demokratischer Institutionen wie Parlament oder Justiz zunehmend zu verringern.
Bei allem Erfolg – die Mehrheit der Ungarn konnte sich damit nicht anfreunden. Zum einen haben die Jungdemokraten die soziale Lage der Ärmeren und ganz Armen trotz Wirtschaftsaufschwungs nicht deutlich verbessert. Zum anderen, so meinen Wahlanalytiker, haben Orbán und seine Mannschaft mit ihrer Angst-und-Schrecken-Kampagne den Bogen überspannt. Viele Ungarn sind sich offenbar bewusst, dass ihr Land in diesem Jahrhundert immer dann in eine Katastrophe schlitterte, wenn es um „Ungarn über alles“ ging. Umfragen zeigen, dass eine relative Mehrheit der Ungarn in die EU will – selbst wenn dies mit zeitweiligen Nachteilen für ihr Land verbunden sein sollte. Wenn die neue sozialistisch-liberale Koalitionsregierung in den nächsten vier Jahren nicht vollkommen versagt, dann spricht einiges für die Prognose, dass die Jungdemokraten bei diesen Wahlen auf längere Sicht ihr bestes Ergebnis erzielt haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen