piwik no script img

Steißwackelnde Fummeltrinen

Im Trainingscamp für Homophobie: Perfide Gehirnwäsche im Travestietheater

Routiniert erkannte dieser Mephisto im Miederkleid in mir den Arsch des Abends

Bekanntlich wird alles immer beschissener, doch hat diese goldene Regel auch Ausnahmen. Zu diesen zählt das fast gänzliche Ausdermodegekommensein von Travestieshows. In den Siebziger- und Achtzigerjahren, als sich allmählich herumsprach, dass Schwule im Durchschnitt auch nicht viel weniger langweilig sind als Heteros, da begannen erzreaktionäre Kräfte, untalentierte Schauspieler in Glitzerfummel zu stecken und sie auf bunten Showbühnen steißwackeln sowie mit affektierter Singsangstimme schweinische Witze aufsagen zu lassen. Das Ergebnis hieß Travestie und diente einzig dazu, dem braven Bürger vorzuführen, dass er selbst normal ist und das ganze Homogesindel bis über beide Gummititten hinaus verderbt.

Eine Verkettung unglücklicher Umstände spielte mir unlängst eine Freikarte zu einem der letzten vor sich hin gammelnden Travestietheater in die Hände. Sie galt für einen der besten Plätze, also ganz hinten hinter dem Pfeiler, wo man zwar nichts sehen, sich dafür aber relativ sicher vor unwürdigen Publikumsspielchen fühlen kann. Doch eiweh, der Laden war trotz der großwürfig verteilten Gratiskarten nur halb voll, und so wurde ich vom Platzanweiser in die erste Reihe gesetzt. Die restliche Zuschauerschaft rekrutierte sich vornehmlich aus abgehalfterten, angeschickerten Weibsen mit frisch getönten Dauerwellen, großen viereckigen Kunststoffbrillen und einem sehr welken Gatten an ihrer Seite. Mir schwante Unheil.

Das Programm wurde eröffnet von einem stark verlebten Nachwuchstalent mit Lederklamotten und Flitter-Make-up, das, wie vermutlich seit Jahrzehnten, sang: „Willkommen in der Traumfabrik! Wir sind so herrlich schön, modern und schick!“ Darob absolvierte ein Mädchen im Pierrotkostüm den romantischen Teil des Abends, indem es auf einer Sperrholzhalbmondsichel sitzend so tat, als spiele es Panflöte, während Gheorghe Zamfir aus den Lautsprecherboxen Flötentöne spuckte. Damit nicht genug der Sensationen, es erschien auch noch ein Wesen mit rosa Federn an einem Gymnastikanzug, der sinngemäß verkündete, dass er alles für uns, sein geliebtes Publikum, gebe, doch wie es tief drinnen in ihm, dem Wesen, aussehe, das wüssten wir nicht, denn wir sähen ja nur seinen prachtvollen Gymnastikanzug. Dann wieder staksten zwei Männer auf Pömps herum und sangen: „Ich bin die tolle Frau aus der Tingeltangelschau.“

Bis hierhin war die Show lediglich leicht daneben, von durchaus anrührender Kläglichkeit und keineswegs unerträglich. Das änderte sich erst, als „MatthiAs“, die Conferencierstunte, hereingestöckelt kam und zu ihrem witzig-spritzigen Galavortrag anhub. „MatthiAs, manche sagen auch nur As zu mir, aber das hängt ganz davon ab, wer der Herzbube ist. Jahaa, Sie dürfen ruhig klatschen. Applaus ist ja fast das Einzige, was heutzutage noch handgemacht ist. Ach Gottchen, ich sage Ihnen, die Politiker, die sind wie Vögel: Wenn sie unten sind, fressen sie einem aus der Hand, und sobald sie oben sind, scheißen sie einem auf den Kopf.“ So jagte ein handgemachter Witz denselben.

Nun rächte sich mein prominenter Sitzplatz. Ich saß so nah vor „MatthiAs“, dass ich ihm in die Strumpfhose hätte beißen können, und er registrierte rasch, dass es nicht haltloses Lachen war, was mich schütteln machte. Routiniert erkannte dieser Mephisto im Miederkleid in mir den Arsch des Abends. Er begann, zum wohlkalkulierten Ergötzen der umsitzenden Schabracken, auf mich einzuteufeln, dass ich a) zu dumm und b) zu humorlos für seine hochkomplexen Pointen sei, was er mit immer neuen Uraltsprüchen zu untermauern verstand: „O Mann, du bist ja dümmer, als die Polizei erlaubt. In deinem Gehirn möchte ich keine Gehirnzelle sein, ich würde vor Einsamkeit sterben.“ Und da spürte ich jäh, wie die perfide Gehirnwäsche auch bei mir zu greifen begann. Ich, sonst ein Inbegriff von Toleranz gegenüber Vertretern sexueller Minoritäten, murmelte schließlich zermürbt in mich hinein: „Du Schwuchtel … o, du gottverdammte, perverse Schwuchtel … zur Hölle mit dir …“

KLAUS CÄSAR ZEHRER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen