: Kampagnenpolitik
Die Demokratie wird durch das Zusammenwirken von Parteien, Werbung und Medien ausgehöhlt – vor allem im Wahlkampf. Dagegen muss sich die Zivilgesellschaft wenden
Matthias Machnig, SPD-Bundesgeschäftsführer und Leiter der Wahl-„Kampa“, hat bei der Journaille einen neuen Spitznamen weg: Machtknick. Auf Einladung von „Netzwerk Recherche“, eines bundesweiten Zusammenschlusses renommierter JournalistInnen, sollte er vor kurzem ein Streitgespräch mit seinem Konterpart Michael Spreng führen, dem Medienberater Edmund Stoibers. Doch der SPD-Mann weigerte sich, weil Stoiber in einem Bild-Interview „kein Satz zu den Opfern in Erfurt“ gesagt habe, und verließ den Saal. Mit einem Schlag war die ach so mythische Kampa entzaubert: Der große Macher – ein trotziger Schulbub. „Sind das die ersten Symptome, dass die Sozis selbst nicht mehr an den Sieg glauben?
Vielleicht. Aber vor allem war Machnigs „Kampa“ unversehens an die Grenzen ihrer eigenen Inszenierungen gestoßen. Direkt nach dem Massaker war der Kanzler nach Erfurt dirigiert und eine SPD-Veranstaltung in Duisburg abgesagt worden, während die CSU ihre Kandidatenkür in Bayern nicht abblasen konnte. Ein sich väterlich um die Opfer kümmernder Kanzler gegen einen kaltherzigen Kanzlerkandidaten – im Vollgefühl seines Sieges im Emotionsmanagement konnte Machnig offenbar nicht mehr aufhören, tränenreiche Betroffenheit zu demonstrieren. Mag er nun persönlich erschüttert gewesen sein oder nicht – entscheidend für Machnigs Machtknick war, dass die Journaille sich funktionalisiert fühlte und „buh“ rief.
Stoibers Oberkampagner Spreng hingegen blieb sitzen und spielte den Braven. Das wirkte wie ein Spiegelbild der Wahlkampfstrategie seines Chefs: keine Sprüche über die „durchrasste Gesellschaft“, jede Polarisierung vermeiden, jede Hoffnung der SPD auf spontan gegründete „Stoppt Stoiber“-Komitees unterlaufen. Stoiber kritisiert Schröder inzwischen schon von links, im Spiegel warf er ihm – vollkommen zu Recht – „die Bevorzugung der Großkonzerne“ durch die rot-grüne Steuerreform vor.
Für die „Kampa“ ist dieser wuschelweiche Stoiber ein Riesenproblem, zumal sich SPD und CDU auch in ihren Wahlprogrammen – mehr Arbeitsplätze, mehr Familie, mehr Sicherheit – kaum mehr unterscheiden. Was bleibt, sind zwei Auswege: Erstens: den Wahlkampf selbst zum Thema machen, also die Inszenierung der Inszenierung. Machnigs Mannen schaffen es immer wieder, ehrfurchtsvolle Artikel über die angebliche Allmacht der „Kampa“ zu lancieren. Auch das geplante „Fernseh-Duell“ – welch ein High-Noon-Wort – zwischen Schröder und Stoiber, eigentlich eine Nachricht von zwei Zeilen, wurde zu einer sich über Tage hinziehenden Medienstory: Wann? Wo? Mit welchen Moderatorinnen? Mit karierter oder Blümchentapete?
Der zweite Ausweg ist das Branding nach dem Vorbild von Nike oder Coca-Cola, die Inszenierung und Vermarktung der SPD als „Lebensgefühl“. Zwar sind deutsche Wahlkampagnen noch lange nicht so durchkommerzialisiert wie in den USA, aber der Anfang dazu ist gemacht. Bei der Wahl zwischen CDU und SPD gehe es nicht mehr um zwei Gesellschaftsmodelle, behauptet ein Strategiepapier der SPD-Zentrale, sondern um „zwei Arten von gesellschaftlichem Klima“.
Auch Nike wollte in seinen Werbefeldzügen Millionen glauben machen, in seinen Läden gäbe es keine Sportschuhe zu kaufen, sondern den Lebensstil von Wohlbefinden, Sportlichkeit und Gemeinsinn. Die Kehrseite: Während das Marketing Milliarden verschlingt, bekommt eine Näherin in einem salvadorianischen Sweatshop von den rund hundert Euro für ein neues Nike-Paar lächerliche vierzig Cent Lohn ab. Das ist deshalb hier erwähnenswert, weil politische Welt und Warenwelt immer ähnlicher werden. Im medialen Zeitalter steigen die Kosten für Vermarktung und Inszenierung in der Politik rapide an – und weil diese nicht immer legal zu begleichen sind, werden uns auch die Parteispendenskandale weiterhin fröhlich begleiten. Die „Belohnung“ für die WählerInnen wird indes immer geringer: Ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten werden geringer, denn sie sind für das Funktionieren von Parteienherrschaft uninteressant, ja sogar gefährlich.
Die Stilmittel von Medien, Werbeagenturen und Parteien gleichen sich einander an, weil sie alle auf dem heiß umkämpften Markt der Aufmerksamkeit miteinander konkurrieren. Also werden auch Werbespots und „Politikspots“ immer ähnlicher. Die allermeisten PolitikerInnen laufen als lebende Fabrik für Selbstlobhudelei herum. Das Problem dabei: Das Publikum wird zwar vielleicht noch kurzfristig aufmerksam, akkumuliert aber langfristig gesehen immer mehr Ekel. Eigenlob stinkt, warum sollte man solche Exemplare wählen. Erstaunlich ist, dass die ach so professionellen Wahlkampfapparate diese menschliche Reaktion bis heute nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Stattdessen müssen, wie in einer Hochrüstungsspirale, in jedem Wahlkampf die Marketing-Kosten noch mehr erhöht werden, um die zunehmende Resistenz der Wählerschaft zu überwinden. Die Wahlkampfmanager stehen vor dem Paradox, dass sie die Entpolitisierung mitproduzieren, die sie doch durchbrechen wollen. Das Publikum will sich so gar nicht mehr wie eine klassische Stammwählerschaft verhalten. Entweder es geht überhaupt nicht mehr wählen oder nimmt seinerseits die Reklamebotschaft wörtlich und behandelt Parteien wie Markenartikel: Wenn Nike oder die Roten nicht das richtige Lebensgefühl liefern, wählen wir halt die anderen Marken.
Die Kollaboration von Politik, Medien und Werbung hat das westliche Modell der Parteienherrschaft, das den Namen Demokratie immer weniger verdient, in eine tiefe Krise gestürzt. Dass die Partei der Nichtwähler alle anderen Parteien überflügelt, ist weltweit zu beobachten, ob in Sachsen-Anhalt oder den USA. Während Greenpeace oder amnesty international seit Jahren höchstes Ansehen genießen, glauben nach einer neuen Emnid-Erhebung 78 Prozent der Deutschen, dass „Politiker nur an ihren Eigennutz denken“. Wer sich unter dem Logo „Wir sind die Besten“ vermarktet, wird halt als käuflich angesehen.
Die fortschreitende Zerstörung des gesellschaftlichen Lebens durch die Parteienherrschaft ist wahrscheinlich nur noch dann zu stoppen, wenn die formale Demokratie wieder zur partizipativen Demokratie verlebendigt wird. Während sich hierzulande nur noch jeder Zehnte als politisch interessiert bezeichnet, ist im brasilianischen Porto Alegre jeder Zehnte sogar politisch aktiv, indem er oder sie sich an der basisdemokratischen Abstimmung über die Prioritäten des städtischen Haushalts beteiligt. Auf nationaler Ebene gäbe es andere Möglichkeiten der Partizipation: Volksabstimmungen, Bürgerkonferenzen, Bürgerausschüsse, erweiterte Mitspracherechte für die Zivilgesellschaft auf allen Ebenen. Darüber zu diskutieren, das wäre eine spannende Debatte für den Wahlkampf und eine lebensnotwendige für die Demokratie – aber weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb wollen sie führen. UTE SCHEUB
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