: Durch sanfte Landschaften gleiten
Eine Paddeltour im Wigierski-Nationalpark: Der kleine Fluss Czarna Hańcza ist rund vier Meter breit, knietief und hat eine mäßige Strömung. Die ursprüngliche Wasserwelt mit moorigem Grund, Muscheln und Flusskrebsen garantiert ruhige Tage
von MANFRED REUTHER
Es ist ein herrlicher Sommertag, die leicht gewellte Landschaft mit weiten Wiesen, kleinen Feldern und ein paar Höfen zeigt sich von ihrer besten Seite. Nahe der Stadt Suwałki, im äußersten Nordosten Polens, setzen unsere polnischen Freunde uns mitsamt unserem Faltboot und dem Gepäck für die Paddeltour ab. Unter einer Brücke herausströmend, stellt sich die Czarna Hańcza, die uns die nächsten fünf Tage tragen wird, erstmals vor. Höchstens vier Meter breit, allenfalls knietief und mäßige Strömung – damit kündigen sich gemütliche Tage an.
Der Angler auf der Brücke hat nur für seine Fische im glasklaren Wasser ein Auge. Erst als wir nach zwei Stunden neben seinem Schwimmer ablegen, rafft er sich zu einem verhaltenen Nicken auf. Von jetzt an sind wir unten von Grün und oben vom blauen Himmel umhüllt: Gemächlich paddeln wir los. Schilf und Wiesen gleiten sanft an uns vorüber. Von der Hektik durch heftige Strömungen mit hereinschwappendem Wasser, wie ich sie aus oberbayerischen Gewässern kenne, bleiben wir hier verschont. Langsam gleiten wir über eine Wasserwelt mit moorigem Grund, Muscheln und Flusskrebsen, wie wir sie zu Hause schon lange nicht mehr finden, dahin.
Die Czarna Hańcza ist einer der letzten naturbelassenen europäischen Flüsse. Keine befestigten Ufer legen ihr ein Korsett an, kein Wehr zwingt die Paddler, Boot und Gepäck umzutragen. Nur selten sind am Ufer kleine Bauernhöfe zu sehen. Nach einiger Zeit umgibt uns nur noch Röhricht, Sümpfe und der Augustów-Urwald. Was darin lebt, bleibt uns im Boot – abgesehen von vielen Libellen in Grün und Tiefblau, von Schwänen, Reihern, Eisvögeln und Enten – weitgehend verborgen. Allenfalls die von Bibern angenagten Bäume am Ufer oder mal ein hurtiges Rascheln verraten, dass wir hier nicht die Einzigen sind.
Gemächlich folgen wir den Schleifen, in denen sich der Fluss durch die ebene Landschaft schlängelt. Immer wieder umschiffen wir Schilfinseln, umgestürzte Bäume oder Bouquets herrlicher Wasserpflanzen. Manchmal geht es über einen stillen Waldsee. Hier ist viel Zeit zum gemütlichen Plaudern und Sinnieren. Mit Schwung peilen wir, scharf am Ufer vorbei, die nächste Flussbiegung an. Vor unseren Augen schon das kühle Bier, dessen Abbildung auf einem kleinen Schild einen Kiosk ankündigt. Da ertönt ein Fluch meines Vordermannes, doch es ist schon zu spät. Eine weitverzweigte Erle hat sich genau hinter der Biegung in den Fluss gelegt, lässt das Wasser durch ihre Zweige, nur unser Faltboot mitsamt seinen beiden Paddlern verheddert sich im Geäst und droht uns heftig zu zerschrammen. Mühselig fädeln wir uns rückwärts, gegen die gerade hier mal heftige Strömung, aus ihren Fängen. Ein spitz angenagter Stummel des Baumes steht noch am Ufer. Die Biber, diese possierlichen kleinen Teufel, haben hier eine perfide Waffe gegen die Störungen der Paddler entwickelt und nagen genau dort, wo man nicht mehr ausweichen kann.
Angenehmer wird die Tour von Bäuerinnen unterbrochen, die am Ufer Kuchen, eingelegte Pilze oder Schnaps anbieten. Abends legen wir an einer der recht zahlreichen Übernachtungsstellen an. Die Bauern nahe dem Fluss verdienen sich hier ein Zubrot mit den Paddlern. Ein Stück gemähte Wiese, gezimmerte Bänke und Tische, eine Feuerstelle dazu, ein Steg um ins Wasser springen zu können, abseits ein kleines Häuschen, und fertig ist der Campingplatz. Zudem bieten wir ihnen offensichtlich auch eine willkommene Abwechslung. Die Verpflegung in den kleinen Dorfläden ist bescheiden, aber unsere Gaumen zu verwöhnen sind wir nicht hierher gekommen. Stattdessen haben die Menschen hier viel Zeit füreinander.
Anrührend ist die Liebe der Bauern zu den Störchen. Viele der kleinen Höfe bieten eine weit in den Himmel ragende Plattform. Überm Schornstein, auf Strommasten, manchmal mit aufwändigen Gestellen locken sie die Tiere zu sich. Nicht immer mit Erfolg, die Glücksbringer sind offensichtlich wählerisch. Wer eine Storchenfamilie beherbergen darf, wird dann von ihr bis aufs Feld hinaus begleitet. In geringer Distanz lassen die Tiere den Pflug an sich vorbei und naschen die Leckerbissen aus den frischen Furchen. Nur lästiges Fotografieren durch Fremde stört sie in ihrer Gelassenheit.
Nach fünf Tagen erreichen wir wieder behutsam die Zivilisation. Größere Dörfer liegen am Fluss. Nahe der weißrussischen Grenze geht es durch alte stillgelegte Kanäle, einst Wunder der Technik. Über bis zu 14 Meter hohe Stufen in der Landschaft werden wir, in liebevoll instand gehaltenen Schleusen, sanft emporgehoben. Dann kommt der sportliche Abschnitt der Strecke über einige weite Seen. Als wir unser Boot am letzten Morgen in seinen Säcken verstauen und auf unseren Abholservice warten, fühlen wir uns prächtig erholt. Nach einer erlebnisreichen zweiwöchigen Reise steht fest: Bei künftigen Reiseentscheidungen wird Polen immer mit dabei sein.
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