: Illegal in Israel
Schaul Gannon, Palästinenserbeauftragter im israelischen Verein für den Schutz der Rechte von Lesben, Schwulen und Transsexuellen, spricht von mindestens fünfhundert schwulen Palästinensern, die sich illegal in Israel aufhalten.
Die Situation in den besetzten Gebieten hat sich für Schwule in den letzten Jahren extrem verschlechtert, sagt Gannon, der Berichte von Betroffenen sammelt. Bisher sind es über dreißig – eine hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass sie nicht anonym verfasst werden dürfen. In ihnen werden Misshandlungen, Lynchjustiz und Folterungen in den Staatsgefängnissen festgehalten.
Insgesamt stellt Gannon eine uneinheitliche Haltung gegenüber Homosexualität fest. Ein Arzt hat bessere Chancen, unbehelligt leben zu können. Auch kommt es auf die lokalen Behörden an. Während im urbanen Ramallah das Phänomen eher übersehen wird, bestrafen die Behörden im Gazastreifen homosexuelle Handlungen mit Schlagstockhieben. Jungen unter achtzehn Jahren wird einmalig die Möglichkeit gewährt, sich in religiösen Schulen auf den rechten Weg bringen zu lassen. Die akuteste Gefahr: Wer unter dem doppelten Verdacht steht, homosexuell und Verräter zu sein, ist allgemeiner Willkür ausgesetzt und hat nur geringe Überlebenschancen.
Lesben werden „Mussachaki“ (deutsch: Spielerei) genannt und werden, wie in der westlichen Welt, eher verschwiegen als verfolgt. Dass sie unterrepräsentiert sind, hängt auch mit dem patriarchalischen System zusammen: Gerade bei der Frauenehre kann sich eine entehrte Familie selbst nach fünfzig Jahren noch rächen. Da überlegen sich Frauen zweimal, ob sie sich als Lesben bekennen oder lieber weiter diskret „spielen“ wollen.
Die internationale Gemeinschaft tut wenig für die Rechte Homosexueller. Gannon, der sich oft an verschiedene UN-Organisationen gewandt hat, berichtet, dass „man am anderen Ende der Leitung geradezu hört, wie Grimassen geschnitten werden“, wenn er die Problematik schildert.
Der UN-Menschenrechtsausschuss hat zwar die UN-Mitgliedsstaaten aufgerufen, Gesetze abzuschaffen, die die Homosexualität diskriminieren. Die Chancen auf Asyl tendieren für Schwule jedoch gegen null, da die UN bislang keine Aufnahmebitte für verfolgte Homosexuelle ausgesprochen haben und kein Land der Welt außerhalb der jeweiligen Grenzen ohne eine solche UN-Bitte Asyl gewährt. Eine Ausreise ist für unverheiratete Palästinenser ausgeschlossen, da sie nie ein Visum bekämen. Auch das liberale Europa – Deutschland inklusive – hat sich bisher geweigert, Hilfe oder Asyl zu gewähren.
Israel duldet aus Sicherheitsgründen zurzeit keine Ausnahmen, was den Aufenthalt von Palästinensern angeht. Dauerhafte Lösungen, wie unbeschränkte Aufenthaltsgenehmigungen oder Einbürgerungen, sind sakrosankt, da dies rechtlich „Tür und Tor für ein allgemeines Rückkehrrecht von Palästinensern öffnen würde“. Es gibt allerdings, so Gannon, einzelne Politiker und hohe Beamte, die sich bei einer Beruhigung der Lage für Einzellösungen einsetzen würden.
Doch mit der rapide zunehmenden Gewaltbereitschaft in beiden Lagern wächst auch der Druck auf die israelischen Sicherheitsbehörden vor Ort, härter gegen die ihnen bekannten Fälle vorzugehen und alle Illegalen abzuschieben. TSAFRIR COHEN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen